Lot Nr. 29


Jacopo di Arcangelo di Jacopo, gen. Jacopo del Sellaio


Jacopo di Arcangelo di Jacopo, gen. Jacopo del Sellaio - Alte Meister

(Florenz um 1441–1493)
Madonna mit Kind, dem Erzengel Gabriel und dem Johannesknaben,
Tempera auf Holz, Tondo, Durchmesser 83,3 cm, gerahmt

Provenienz:
Europäische Privatsammlung

Wir danken Andrea De Marchi, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes bestätigt hat.

Dieses kleine Tondo da camera ist ein besonders bedeutendes Beispiel der zur häuslichen Andacht bestimmten Gemälde des Jacopo del Sellaio. Für dieses Genre schuf der Maler wunderbare Werke mit teils bemerkenswert ideenreichen Umsetzungen. Dabei stellte er vor allem Madonnen dar, die das Jesuskind anbeten, also Szenen aus der Ikonographie der Geburt Jesu. Hier jedoch ist eine „Madonna dell’Umiltà” [Madonna der Demut] in Frontalansicht und am Boden auf einem roten Kissen sitzend abgebildet, die sich perfekt in die Rundform des Rahmens einfügt.

Den Hintergrund bildet eine weite von einem Fluss durchzogene und auf beiden Seiten von Felsen begrenzte Landschaft, deren bläuliche Farbgebung sich am Horizont in Schleiern verliert. Die Gestaltung der Personen in dieser fantasievollen und sich in die Breite ausdehnenden Landschaft lässt auf die letzten Lebensjahre des Meisters um 1490 schließen, als sich der Einfluss des Protoklassizismus Peruginos deutlicher zeigte und sich damit auch eine strengere und wesentlichere Vorstellung bei der Darstellung der Themen der Anbetung durchsetzte.

Auf der rechten Seite platzierte der Maler die in solchen Gruppierungen übliche Figur des jungen Johannes des Täufers sowie auf der linken Seite den Erzengel Gabriel, der am Lilienzweig zu erkennen ist. Der göttliche Bote kniet am Boden und wiederholt damit die Pose der Madonna, wobei er ein kleines geöffnetes Buch mit einer an Botticelli gemahnenden Geste in seiner rechten Hand hält. Diese recht ungewöhnliche Darstellung spielt auf das Geheimnis der Menschwerdung Gottes an und ist damit gleichsam als spirituelle Episode aufzufassen. Diese Gemälde waren tatsächlich zum sogenannten geistigen Gebet, zur stummen Andacht bestimmt: Mit ihrer liebevollen und anekdotischen Art der Darstellung sollten diese Darstellungen zu tieferem Nachdenken hinführen. Die Vorahnung der Opferung Christi rechtfertigt den melancholischen Gesichtsausdruck der Madonna, wiedergegeben in zarten und blassen Farbtönen, die die Bewunderung des Jacopo del Sellajo für den jüngeren Botticelli sichtbar machen, der nach ihm Schüler von Fra Filippo Lippi war. Diese Melancholie findet ihre Entsprechung im Erzengel Gabriel, der den Kopf geneigt hält und sich scheinbar ganz diesem Gefühl hingibt. Der Johannesknabe wird in den Bildkompositionen Jacopo del Sellaios häufig in direkter Anbetung des Jesuskindes dargestellt. Hier hingegen hält er sich etwas abseits und steht ein wenig versetzt: mit einem Kamelfell bekleidet und bereit für die Buße in der Wüste hebt er die rechte Hand zum Segen. In der anderen hält er ein dünnes und langes Kreuz und eine Schriftrolle mit dem Aufdruck „ECCE AGNUS DEI QUI TOLLIS [peccatum mundi]” und blickt wie auch das Jesuskind in Richtung des Betrachters, um in diesem barmherzige und fromme Gefühle wachzurufen. Das Jesuskind macht eine originelle und ungewöhnliche Geste, die sich aus den Figurenstudien von Lippi ableiten lässt. Es sitzt am linken Knie der Mutter in labiler Position und wendet sich ihr mit beiden Armen zu, um die nackte Brust zu suchen: möglicherweise wurde es beim Stillen unterbrochen und von etwas abgelenkt. Diese überraschte Haltung der Figur möchte offenbar ein Gefühl für die ergreifende kindliche Wahrheit und Spontaneität im Gegensatz zum melancholischen Ausdruck der Blicke der Figuren vermitteln, die damit wie außerhalb der Zeit festgehalten und abstrahiert erscheinen. Typisch für die letzte Schaffensperiode Jacopo del Sellaios ist der lose um den Kopf drapierte violette Schleier, welcher der Madonna über die Brust hängt und auf den eine lange Haarlocke fällt (gleichsam das Markenzeichen des Künstlers).

Mit der Sitzhaltung der Madonna dell’Umiltà mit einem angewinkelten und einem angehobenen Knie scheint Jacopo del Sellaio an eine schöne Komposition von Luca della Robbia zu erinnern, die ebenso als Tondo ausgeführt wurde (das beste Beispiel dafür ist die Stuckvariante im Ashmolean Museum in Oxford, siehe: G. Gentilini: I Della Robbia. La scultura invetriata nel Rinascimento, Florenz 1993, I, S. 22 und 147, Anm. 21). Diese Idee wurde zuvor bereits in einem Tondo realisiert, das sich heute in der Sammlung Alana in Newark befindet (siehe A. Staderini, in: The Alana Collection. Italian Paintings from the 14th to the 16th Century, hrsg. von S. Chiodo und S. Padovani, Florenz 2014, S. 152–155, Kat. 21). Dieses zeigt jedoch ein auf dem Knie Marias stehendes recht großes Jesuskind sowie den das Kind anbetenden Johannesknaben und zwei Engel, die eine Girlande hinter einer Marmorbrüstung halten und sich direkt gegen den Himmel abheben. Die Farbgebung dieses Tondos aus der Sammlung Alana ist klarer und atmosphärischer, ja festlicher und verweist auf eine andere Phase des Malers um 1480, als sich dieser stark dem Stil des Domenico Ghirlandaio annäherte (siehe das Altarbild San Giusto). Auch in diesem Fall erinnern die beiden Engel trotz ihres kindlichen Aussehens an die beiden Erzengel Michael und Gabriel, wobei der erste in Rüstung mit einem Myrtenzweig und der zweite mit Lilien abgebildet ist. Zudem soll noch an ein Tondo aus dem Petit Palais in Avignon (siehe M. Laclotte, E. Moench, Peinture italienne. Musée du Petit Palais Avignon, Paris 2005, S. 188, Kat. 250) erinnert werden: Dieses Bild aus einer Werkstatt der 1480er-Jahre nimmt die Brüstung des Tondos aus der Sammlung Alana als auch das Motiv des liebevoll umarmten Jesuskinds (wie in einem Gemälde der Sammlung Johnson in Philadelphia) wieder auf, wobei sich auf der linken Seite hinter der kleinen Mauer der betende Johannesknabe und rechter Hand der Erzengel Gabriel mit kindlichem Gesichtsausdruck und einem Lilienzweig befinden.

Die Hauptgruppe des Tondos aus der Sammlung Alana, also die Madonna mit Kind und der kindliche Johannes der Täufer, erscheint unverändert wieder im Tondo des Fine Arts Museum in San Francisco (Inv. 1990.21.1). Auch hier gibt es die Brüstung und eine etwas bescheidenere Variante des symbolischen Rosengartens des hortus conclusus, der sich hinter einer von zwei Felsen eingefassten Landschaft öffnet. Auf der rechten Seite findet sich erneut der Erzengel Gabriel als Kind.

Dieses Tondo nimmt jene Landschaftsszene wieder auf und stellt doch eine radikal neue Idee dar, zumal sich die Szene mit der unterschiedlichen Größe von Johannes und Gabriel in der Weite der nüchternen und bläulichen Landschaft verliert, welche nicht über die ansprechenden Details verfügt, die Jacopo del Sellaio um 1480 so sehr gefielen. Ein fundamentaler Bezugspunkt der sozusagen pietistischen Entwicklung des Malers bildet 1484/1485 das Gemälde Pietà e Santi aus Berlin (zerstört) für den Altar der Brüderschaft von San Frediano, das 1487 bezahlt, jedoch bereits 1484/1485 gemalt wurde. Die zarte Farbgebung ist zudem der Ahnung des Todes in der Darstellung des Altarbildes Crocefissione e Santi in San Frediano um 1490 geschuldet.

Die Infrarotreflektografie zeigt die Qualität der Zeichnung, insbesondere bei der Figur des Johannesknaben, der in Gesicht und Anatomie mit raschen und breiten Pinselstrichen entworfen wurde. Darauf wurden Anpassungen vorgenommen, die ein Zeichen der Qualität der Zeichnung und Originalität der Erfindung sind. Zudem zeigen sich kleine Korrekturen, wie etwa am rechten Ärmel der Madonna, der erst weit, später jedoch anliegend ist.

Wir danken Andrea De Marchi für die Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Technische Untersuchung
In der Infrarotreflektografie zeigt sich bei dem vorliegenden Gemälde eine der interessantesten Unterzeichnungen der Florentiner Malerei dieses Zeitraums. Bei ähnlichen Tafelbildern beschränkte man sich in Florenz in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sowie zu Beginn des 16. Jahrhunderts bei der Unterzeichnung in der Regel auf eine genaue Umrisszeichnung, die dann üblicherweise mittels Pausrädchen oder durch ein anderes Übertragungsverfahren von einer Vorzeichnung auf die grundierte Tafel übertragen und danach mit dünnem Pinsel nachgezogen wurde, um die Konturen der Figuren, Details und Falten sichtbar zu machen; dabei kamen kaum Schraffuren zum Einsatz. Zuweilen finden sich auch Einritzungen, zumeist in den dunkelblauen Mänteln und in der Architekturkulisse. Solcher Art war die typische Arbeitsweise beispielsweise von Botticelli, und selbstverständlich wurden Kompositionen etwa in der Haltung und in den Gesten während der Ausführung eines Gemäldes gegebenenfalls noch verändert, wie Untersuchungen mit Infrarotreflektografie und Röntgenstrahlen belegen.

Bei dem vorliegenden Tondo legen manche Bereiche in den Figuren die Zugrundelegung einer maßstabsgetreuen Zeichnung (bzw. einer Vorlage) nahe, beispielsweise die rechte Hand und der Kopf der Madonna, deren Augen ursprünglich etwas tiefer angesetzt waren, das Gesicht des Engels und das Kind, das mit wenigen Veränderungen sorgfältig umrissen ist. Andere Hinweise auf diese sorgfältige Vorzeichnung finden sich im Schleier der Madonna, der ursprünglich bis unter die rechte Schulter über die Brust reichte, sowie im Ärmel ihres Gewandes, der breiter war, als er in der ausgeführten Version erscheint.

Diese Art der Unterzeichnung wird auch in anderen Gemälden Jacopo del Sellaios sichtbar. Interessanterweise zeigen die Bilder der Infrarotreflektografie zusätzlich zu dieser der üblichen toskanischen Praxis folgenden Art Unterzeichnung eine andere Form der Zeichnung, ausgeführt mit einem breiteren Pinsel und schwarzer Tinte auf Kohlenstoffbasis, die zweifellos freihändig ausgeführt und insbesondere in der Figur des Täuferknaben erkennbar ist. Diese Figur scheint ganz ohne Karton und direkt mit freier Hand gezeichnet; sie scheint mehrmals überarbeitet worden zu sein, bis die richtige Form gefunden war. Zu erkennen ist sie um den Kopf, wo die Position der Augen, des Mundes und der Nase mit geschwungenen Linien schnell und skizzenhaft festgelegt ist; deren Größe wurde mehrmals modifiziert, was auch für den linken Arm gilt. Johannes scheint zu erst nackt gezeichnet und erst dann eingekleidet worden zu sein; kleine Veränderungen wurden mittels einer zweiten Zeichnung und während des Malvorgangs vorgenommen. Mehrere Anpassungen finden sich in der linken Hand und im rechten Arm der Madonna, in ihrem Schleier und in der Schulter des Kindes, wo in der Infrarotreflektografie freihändig gezeichnete Linien erkennbar werden; dasselbe trifft auf das Gewand und die Arme des Engels zu: insgesamt kleine Korrekturen. Eine Art schraffierte Zeichnung zeigt sich darüber hinaus in den Schatten des Kleides und des Mantels der Madonna, was für die Arbeitsweise im Florenz der damaligen Zeit außergewöhnlich ist. Auch in der Landschaft wird eine zarte Freihandzeichnung sichtbar. IR-Bilder zeigen hinsichtlich der Pigmente die Verwendung von Azurit für den Mantel der Madonna sowie eine grüne Erde enthaltende dünne untere Malschicht in den Hauttönen.

Abschließend kann das vorliegende Gemälde als eine Art Palimpsest bezeichnet werden, der zum Teil eine direkt auf der grundierten Bildtafel ausgeführte Zeichnung aufweist, wobei die ursprüngliche Durchpausung verändert und damit der ursprüngliche Bildgedanke uminterpretiert wurden. Ein ähnliches Verfahren, jedoch mit einer anderen Art auffälliger Unterzeichnung, lassen zuweilen auch die Gemälde Botticellis erkennen, mit dem Jacopo del Sellaio zumindest bei der Nastagio degli Onesti gewidmeten Serie, heute im Prado, Madrid, zusammenarbeitete, aber auch Bilder Filippino Lippis. Die hier angewendete Arbeitsweise ist ein wichtiges und aussagekräftiges Beispiel für die Heranziehung von Vorbildern bestehender Kompositionen und deren Umgestaltung und Erneuerung.

Wir danken Gianluca Poldi für die Durchführung der technischen Untersuchung des vorliegenden Gemäldes.

25.04.2017 - 18:00

Schätzwert:
EUR 250.000,- bis EUR 300.000,-

Jacopo di Arcangelo di Jacopo, gen. Jacopo del Sellaio


(Florenz um 1441–1493)
Madonna mit Kind, dem Erzengel Gabriel und dem Johannesknaben,
Tempera auf Holz, Tondo, Durchmesser 83,3 cm, gerahmt

Provenienz:
Europäische Privatsammlung

Wir danken Andrea De Marchi, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes bestätigt hat.

Dieses kleine Tondo da camera ist ein besonders bedeutendes Beispiel der zur häuslichen Andacht bestimmten Gemälde des Jacopo del Sellaio. Für dieses Genre schuf der Maler wunderbare Werke mit teils bemerkenswert ideenreichen Umsetzungen. Dabei stellte er vor allem Madonnen dar, die das Jesuskind anbeten, also Szenen aus der Ikonographie der Geburt Jesu. Hier jedoch ist eine „Madonna dell’Umiltà” [Madonna der Demut] in Frontalansicht und am Boden auf einem roten Kissen sitzend abgebildet, die sich perfekt in die Rundform des Rahmens einfügt.

Den Hintergrund bildet eine weite von einem Fluss durchzogene und auf beiden Seiten von Felsen begrenzte Landschaft, deren bläuliche Farbgebung sich am Horizont in Schleiern verliert. Die Gestaltung der Personen in dieser fantasievollen und sich in die Breite ausdehnenden Landschaft lässt auf die letzten Lebensjahre des Meisters um 1490 schließen, als sich der Einfluss des Protoklassizismus Peruginos deutlicher zeigte und sich damit auch eine strengere und wesentlichere Vorstellung bei der Darstellung der Themen der Anbetung durchsetzte.

Auf der rechten Seite platzierte der Maler die in solchen Gruppierungen übliche Figur des jungen Johannes des Täufers sowie auf der linken Seite den Erzengel Gabriel, der am Lilienzweig zu erkennen ist. Der göttliche Bote kniet am Boden und wiederholt damit die Pose der Madonna, wobei er ein kleines geöffnetes Buch mit einer an Botticelli gemahnenden Geste in seiner rechten Hand hält. Diese recht ungewöhnliche Darstellung spielt auf das Geheimnis der Menschwerdung Gottes an und ist damit gleichsam als spirituelle Episode aufzufassen. Diese Gemälde waren tatsächlich zum sogenannten geistigen Gebet, zur stummen Andacht bestimmt: Mit ihrer liebevollen und anekdotischen Art der Darstellung sollten diese Darstellungen zu tieferem Nachdenken hinführen. Die Vorahnung der Opferung Christi rechtfertigt den melancholischen Gesichtsausdruck der Madonna, wiedergegeben in zarten und blassen Farbtönen, die die Bewunderung des Jacopo del Sellajo für den jüngeren Botticelli sichtbar machen, der nach ihm Schüler von Fra Filippo Lippi war. Diese Melancholie findet ihre Entsprechung im Erzengel Gabriel, der den Kopf geneigt hält und sich scheinbar ganz diesem Gefühl hingibt. Der Johannesknabe wird in den Bildkompositionen Jacopo del Sellaios häufig in direkter Anbetung des Jesuskindes dargestellt. Hier hingegen hält er sich etwas abseits und steht ein wenig versetzt: mit einem Kamelfell bekleidet und bereit für die Buße in der Wüste hebt er die rechte Hand zum Segen. In der anderen hält er ein dünnes und langes Kreuz und eine Schriftrolle mit dem Aufdruck „ECCE AGNUS DEI QUI TOLLIS [peccatum mundi]” und blickt wie auch das Jesuskind in Richtung des Betrachters, um in diesem barmherzige und fromme Gefühle wachzurufen. Das Jesuskind macht eine originelle und ungewöhnliche Geste, die sich aus den Figurenstudien von Lippi ableiten lässt. Es sitzt am linken Knie der Mutter in labiler Position und wendet sich ihr mit beiden Armen zu, um die nackte Brust zu suchen: möglicherweise wurde es beim Stillen unterbrochen und von etwas abgelenkt. Diese überraschte Haltung der Figur möchte offenbar ein Gefühl für die ergreifende kindliche Wahrheit und Spontaneität im Gegensatz zum melancholischen Ausdruck der Blicke der Figuren vermitteln, die damit wie außerhalb der Zeit festgehalten und abstrahiert erscheinen. Typisch für die letzte Schaffensperiode Jacopo del Sellaios ist der lose um den Kopf drapierte violette Schleier, welcher der Madonna über die Brust hängt und auf den eine lange Haarlocke fällt (gleichsam das Markenzeichen des Künstlers).

Mit der Sitzhaltung der Madonna dell’Umiltà mit einem angewinkelten und einem angehobenen Knie scheint Jacopo del Sellaio an eine schöne Komposition von Luca della Robbia zu erinnern, die ebenso als Tondo ausgeführt wurde (das beste Beispiel dafür ist die Stuckvariante im Ashmolean Museum in Oxford, siehe: G. Gentilini: I Della Robbia. La scultura invetriata nel Rinascimento, Florenz 1993, I, S. 22 und 147, Anm. 21). Diese Idee wurde zuvor bereits in einem Tondo realisiert, das sich heute in der Sammlung Alana in Newark befindet (siehe A. Staderini, in: The Alana Collection. Italian Paintings from the 14th to the 16th Century, hrsg. von S. Chiodo und S. Padovani, Florenz 2014, S. 152–155, Kat. 21). Dieses zeigt jedoch ein auf dem Knie Marias stehendes recht großes Jesuskind sowie den das Kind anbetenden Johannesknaben und zwei Engel, die eine Girlande hinter einer Marmorbrüstung halten und sich direkt gegen den Himmel abheben. Die Farbgebung dieses Tondos aus der Sammlung Alana ist klarer und atmosphärischer, ja festlicher und verweist auf eine andere Phase des Malers um 1480, als sich dieser stark dem Stil des Domenico Ghirlandaio annäherte (siehe das Altarbild San Giusto). Auch in diesem Fall erinnern die beiden Engel trotz ihres kindlichen Aussehens an die beiden Erzengel Michael und Gabriel, wobei der erste in Rüstung mit einem Myrtenzweig und der zweite mit Lilien abgebildet ist. Zudem soll noch an ein Tondo aus dem Petit Palais in Avignon (siehe M. Laclotte, E. Moench, Peinture italienne. Musée du Petit Palais Avignon, Paris 2005, S. 188, Kat. 250) erinnert werden: Dieses Bild aus einer Werkstatt der 1480er-Jahre nimmt die Brüstung des Tondos aus der Sammlung Alana als auch das Motiv des liebevoll umarmten Jesuskinds (wie in einem Gemälde der Sammlung Johnson in Philadelphia) wieder auf, wobei sich auf der linken Seite hinter der kleinen Mauer der betende Johannesknabe und rechter Hand der Erzengel Gabriel mit kindlichem Gesichtsausdruck und einem Lilienzweig befinden.

Die Hauptgruppe des Tondos aus der Sammlung Alana, also die Madonna mit Kind und der kindliche Johannes der Täufer, erscheint unverändert wieder im Tondo des Fine Arts Museum in San Francisco (Inv. 1990.21.1). Auch hier gibt es die Brüstung und eine etwas bescheidenere Variante des symbolischen Rosengartens des hortus conclusus, der sich hinter einer von zwei Felsen eingefassten Landschaft öffnet. Auf der rechten Seite findet sich erneut der Erzengel Gabriel als Kind.

Dieses Tondo nimmt jene Landschaftsszene wieder auf und stellt doch eine radikal neue Idee dar, zumal sich die Szene mit der unterschiedlichen Größe von Johannes und Gabriel in der Weite der nüchternen und bläulichen Landschaft verliert, welche nicht über die ansprechenden Details verfügt, die Jacopo del Sellaio um 1480 so sehr gefielen. Ein fundamentaler Bezugspunkt der sozusagen pietistischen Entwicklung des Malers bildet 1484/1485 das Gemälde Pietà e Santi aus Berlin (zerstört) für den Altar der Brüderschaft von San Frediano, das 1487 bezahlt, jedoch bereits 1484/1485 gemalt wurde. Die zarte Farbgebung ist zudem der Ahnung des Todes in der Darstellung des Altarbildes Crocefissione e Santi in San Frediano um 1490 geschuldet.

Die Infrarotreflektografie zeigt die Qualität der Zeichnung, insbesondere bei der Figur des Johannesknaben, der in Gesicht und Anatomie mit raschen und breiten Pinselstrichen entworfen wurde. Darauf wurden Anpassungen vorgenommen, die ein Zeichen der Qualität der Zeichnung und Originalität der Erfindung sind. Zudem zeigen sich kleine Korrekturen, wie etwa am rechten Ärmel der Madonna, der erst weit, später jedoch anliegend ist.

Wir danken Andrea De Marchi für die Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Technische Untersuchung
In der Infrarotreflektografie zeigt sich bei dem vorliegenden Gemälde eine der interessantesten Unterzeichnungen der Florentiner Malerei dieses Zeitraums. Bei ähnlichen Tafelbildern beschränkte man sich in Florenz in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sowie zu Beginn des 16. Jahrhunderts bei der Unterzeichnung in der Regel auf eine genaue Umrisszeichnung, die dann üblicherweise mittels Pausrädchen oder durch ein anderes Übertragungsverfahren von einer Vorzeichnung auf die grundierte Tafel übertragen und danach mit dünnem Pinsel nachgezogen wurde, um die Konturen der Figuren, Details und Falten sichtbar zu machen; dabei kamen kaum Schraffuren zum Einsatz. Zuweilen finden sich auch Einritzungen, zumeist in den dunkelblauen Mänteln und in der Architekturkulisse. Solcher Art war die typische Arbeitsweise beispielsweise von Botticelli, und selbstverständlich wurden Kompositionen etwa in der Haltung und in den Gesten während der Ausführung eines Gemäldes gegebenenfalls noch verändert, wie Untersuchungen mit Infrarotreflektografie und Röntgenstrahlen belegen.

Bei dem vorliegenden Tondo legen manche Bereiche in den Figuren die Zugrundelegung einer maßstabsgetreuen Zeichnung (bzw. einer Vorlage) nahe, beispielsweise die rechte Hand und der Kopf der Madonna, deren Augen ursprünglich etwas tiefer angesetzt waren, das Gesicht des Engels und das Kind, das mit wenigen Veränderungen sorgfältig umrissen ist. Andere Hinweise auf diese sorgfältige Vorzeichnung finden sich im Schleier der Madonna, der ursprünglich bis unter die rechte Schulter über die Brust reichte, sowie im Ärmel ihres Gewandes, der breiter war, als er in der ausgeführten Version erscheint.

Diese Art der Unterzeichnung wird auch in anderen Gemälden Jacopo del Sellaios sichtbar. Interessanterweise zeigen die Bilder der Infrarotreflektografie zusätzlich zu dieser der üblichen toskanischen Praxis folgenden Art Unterzeichnung eine andere Form der Zeichnung, ausgeführt mit einem breiteren Pinsel und schwarzer Tinte auf Kohlenstoffbasis, die zweifellos freihändig ausgeführt und insbesondere in der Figur des Täuferknaben erkennbar ist. Diese Figur scheint ganz ohne Karton und direkt mit freier Hand gezeichnet; sie scheint mehrmals überarbeitet worden zu sein, bis die richtige Form gefunden war. Zu erkennen ist sie um den Kopf, wo die Position der Augen, des Mundes und der Nase mit geschwungenen Linien schnell und skizzenhaft festgelegt ist; deren Größe wurde mehrmals modifiziert, was auch für den linken Arm gilt. Johannes scheint zu erst nackt gezeichnet und erst dann eingekleidet worden zu sein; kleine Veränderungen wurden mittels einer zweiten Zeichnung und während des Malvorgangs vorgenommen. Mehrere Anpassungen finden sich in der linken Hand und im rechten Arm der Madonna, in ihrem Schleier und in der Schulter des Kindes, wo in der Infrarotreflektografie freihändig gezeichnete Linien erkennbar werden; dasselbe trifft auf das Gewand und die Arme des Engels zu: insgesamt kleine Korrekturen. Eine Art schraffierte Zeichnung zeigt sich darüber hinaus in den Schatten des Kleides und des Mantels der Madonna, was für die Arbeitsweise im Florenz der damaligen Zeit außergewöhnlich ist. Auch in der Landschaft wird eine zarte Freihandzeichnung sichtbar. IR-Bilder zeigen hinsichtlich der Pigmente die Verwendung von Azurit für den Mantel der Madonna sowie eine grüne Erde enthaltende dünne untere Malschicht in den Hauttönen.

Abschließend kann das vorliegende Gemälde als eine Art Palimpsest bezeichnet werden, der zum Teil eine direkt auf der grundierten Bildtafel ausgeführte Zeichnung aufweist, wobei die ursprüngliche Durchpausung verändert und damit der ursprüngliche Bildgedanke uminterpretiert wurden. Ein ähnliches Verfahren, jedoch mit einer anderen Art auffälliger Unterzeichnung, lassen zuweilen auch die Gemälde Botticellis erkennen, mit dem Jacopo del Sellaio zumindest bei der Nastagio degli Onesti gewidmeten Serie, heute im Prado, Madrid, zusammenarbeitete, aber auch Bilder Filippino Lippis. Die hier angewendete Arbeitsweise ist ein wichtiges und aussagekräftiges Beispiel für die Heranziehung von Vorbildern bestehender Kompositionen und deren Umgestaltung und Erneuerung.

Wir danken Gianluca Poldi für die Durchführung der technischen Untersuchung des vorliegenden Gemäldes.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 25.04.2017 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 15.04. - 25.04.2017

Warum bei myDOROTHEUM registrieren?

Die kostenlose Registrierung bei myDOROTHEUM ermöglicht Ihnen die komplette Nutzung folgender Funktionen:

Katalog Benachrichtigungen sobald ein neuer Auktionskatalog online ist.
Auktionstermin Erinnerung zwei Tage vor Auktionsbeginn.
Mitbieten Bieten Sie auf Ihre Lieblingsstücke und ersteigern Sie neue Meisterwerke!
Suchservice Sie suchen nach einem bestimmten Künstler oder einer bestimmten Marke? Speichern Sie Ihre Suche ab und werden Sie automatisch informiert, sobald diese in einer Auktion angeboten werden!