Lot Nr. 61


Giovanni Battista Ruggeri, gen. Battistino del Gessi


Giovanni Battista Ruggeri, gen. Battistino del Gessi - Alte Meister

(Bologna 1603–1633 Rom)
Die Vestalin Tuccia,
Öl auf Leinwand, 106 x 145 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Reggio Emilia, seit circa 1960

Wir danken Francesca Cappelletti, die die Zuschreibung vorgeschlagen hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Das vorliegende Gemälde weist als „tela da imperatore“ [„Leinwand von imperialer Größe“] Ausmaße auf, die vermuten lassen, dass das Bild für eine bedeutende Sammlung bestimmt und geeignet war, in einem der Paläste des frühen 17. Jahrhunderts zur Schau gestellt zu werden. Zu sehen ist der Höhepunkt der von Livius berichteten Geschichte der Vestalin Tuccia – jener Moment, in dem die unschuldige Priesterin ungerechtfertigt angeklagt wird, gegen das Gebot der Keuschheit verstoßen zu haben. Die Episode findet sich auch bei Valerius Maximus, der das von der Priesterin erflehte Wunder beschreibt: Sie stellte sich den Richtern mit einem Sieb voller Wasser, das sie aus dem Tiber geschöpft hatte. Kein einziger Tropfen ging verloren. Mit göttlicher Hilfe konnte die Jungfrau so ihre Unschuld beweisen. (Obgleich Livius und Plinius in der Naturalis Historia [XXVIII: 2 zu Tuccia] über zahlreiche Prozesse gegen Vestalinnen berichten, scheint Valerius Maximus im Fall der Tuccia-Episode, die in Factorum et dictorum memorabilium… VII: 1:5 erzählt wird, die Hauptquelle zu sein. Ein weiteres Wunder im Zusammenhang mit der Vestalin Claudia Quinta wurde von Ovid berichtet und ebenfalls gelegentlich als Bildthema gewählt).

Im vorliegenden Gemälde ist das Thema vor dem Hintergrund prächtiger römischer Paläste angesiedelt. Der Thron des Pontifex Maximus, welchem die Jungfrau das Sieb entgegenhält, wird von einer schweren, an einer mächtigen kannelierten Säule befestigten Draperie gerahmt. Die Figuren scheinen nicht miteinander zu interagieren; nur in den Zügen des bärtigen Mannes und des Soldaten rechts neben dem Pontifex scheint sich fragendes Erstaunen angesichts der Szene abzuzeichnen. Der rechts erscheinende elegante Hellebardier mit der in der Hüfte aufgestützten Hand, der dem Betrachter im Dreiviertelprofil zugewendet ist, scheint gedankenverloren und nimmt von der dargestellten Szene keine Notiz.

Von der Szene geht vielmehr eine feierliche Verhaltenheit aus, was dazu beiträgt, das Gemälde im Umkreis einer sich in Rom in den 1630er- und 1640er-Jahren vollziehenden stilistischen Entwicklung zuzuordnen, als die imposante barocke Bildsprache Pietro da Cortonas Seite an Seite mit dem Bologneser Klassizismus und der noch strengeren literarischen Bildauffassung eines Nicolas Poussin bestand.

Während die Architekturkulisse und die elegant gekleideten Figuren des vorliegenden Gemäldes auf eine Kenntnis des Frühwerks Pietro da Cortonas verweisen, spricht die abstrahierte Erzählweise des Bildthemas für die klassische Bildsprache der ersten Dekaden des 17. Jahrhunderts. Nicht zufällig steht das Gemälde in dieser Hinsicht dem Schaffen Giovan Battista Ruggeris nahe, eines Künstlers, der seine Ausbildung in Bologna als Schüler Domenichinos an dessen jeweiligen Einsatzorten erhielt. Ruggeri war auch Mitarbeiter in Cassiano dal Pozzos Museum Cartaceum und stand zweifellos in Kontakt mit Malern, die zwar für ihre Nähe zum emilianischen Kreis und zu den in Rom tätigen Franzosen bekannt sind, aber – wie auch François Perrier – nichtsdestotrotz zu den „cortoneschi“ gezählt werden (siehe F. Cappelletti, in: F. Cappelletti/L. Testa, Il trattenimento di virtuosi. Le collezioni secentesche di quadri nei palazzo Mattei di Roma, Rom 1994, S. 121–123, zur Biografie Ruggeris und zur Zuschreibung von zwei Gemälden in der Sammlung des Palazzo Barberini an den Künstler).

Das vorliegende Gemälde fällt sicherlich in den Dunstkreis des Beitrags der Barberini zur damaligen Kunstdebatte (zur Cortona-Nachfolge in Frankreich und zu den in Frankreich nachhaltig gültigen Folgen der Debatte „Barock versus Klassik“ Ende der 1620er-Jahre siehe B. Gady, Una gloria senza fortuna: Pietro da Cortona e la Francia in: Pietro da Cortona, hrsg. von A. Lo Bianco, Ausstellungskatalog, Rom 1998, S. 153–163, mit vorangegangener Literatur) – in zweifacher Hinsicht: zum einen aufgrund der Wahl des seltenen antiken Themas, zum anderen aufgrund der Treue des Bildes gegenüber der alten literarischen Quelle. Zudem trägt es mit zahlreichen stilistischen Bezugnahmen den Interessen des sich um Cassiano dal Pozzo und Francesco Barberini scharenden Kreises römischer Antikenkenner Rechnung, der später den Nährboden für den verfeinerten Malstils Charles Errards sowie Pierre und Nicolas Mignards bilden sollte.

Im Fall der Vestalin Tuccia verweisen die vollen, verkürzten Gesichtszüge der Jungfrau auf emilianische Vorbilder, während die elegante Abgehobenheit des Hellebardiers die klassizierende, losgelöste Welt des Giacinto Gimignani vorwegzunehmen scheint.

Die kompositorische Assonanz des Werks und die Wahl des Antikenthemas verweisen auf eine Autorenschaft Giovan Battista Ruggeris, gen. Battistino del Gessi. Bei ihm handelt es sich um einen faszinierenden und immer noch geheimnisumwobenen Künstler (beispielsweise wurde sein Todesjahr erst kürzlich aufgrund dokumentarischer Hinweise mit 1633 bestätigt; siehe A. Perri, La data di morte di Giovan Battista Ruggeri in: Decorazione e collezionismo a Roma nel Seicento, hrsg. v. F. Cappelletti, Rom, o. J. [2003], S. 107–112), der Antiken zeichnete, mit François Perrier zusammenarbeitete und für Vincenzo Giustiniani tätig war, für den er das heute in Potsdam befindliche Bild Moses vor dem Pharao schuf. Die Soldaten und Schaulustigen im Hintergrund dieses letztgenannten Gemäldes ebenso wie des heute im Palazzo Barberini befindlichen Bildes David und Abigail (ehemals Sammlung Santacroce und Sammlung Mattei) sind jenen unseres Gemäldes sehr ähnlich: Sie sind frontal wiedergegeben, und ihre Entfernung auf der Bildfläche gegenüber den üppig gekleideten Figuren des Vordergrunds wird durch eine abgedämpfte Farbigkeit zum Ausdruck gebracht. Die schon eingangs bemerkte Feierlichkeit der Szene und die Andeutung einer halbkreisförmigen Figurenanordnung erinnern auch an die Mäßigung des Scipio, das Gegenstück zu David und Abigail und damit an jenes Werk, das unserer Vestalin Tuccia kompositorisch am nächsten steht.

17.10.2017 - 18:00

Schätzwert:
EUR 20.000,- bis EUR 30.000,-

Giovanni Battista Ruggeri, gen. Battistino del Gessi


(Bologna 1603–1633 Rom)
Die Vestalin Tuccia,
Öl auf Leinwand, 106 x 145 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Reggio Emilia, seit circa 1960

Wir danken Francesca Cappelletti, die die Zuschreibung vorgeschlagen hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Das vorliegende Gemälde weist als „tela da imperatore“ [„Leinwand von imperialer Größe“] Ausmaße auf, die vermuten lassen, dass das Bild für eine bedeutende Sammlung bestimmt und geeignet war, in einem der Paläste des frühen 17. Jahrhunderts zur Schau gestellt zu werden. Zu sehen ist der Höhepunkt der von Livius berichteten Geschichte der Vestalin Tuccia – jener Moment, in dem die unschuldige Priesterin ungerechtfertigt angeklagt wird, gegen das Gebot der Keuschheit verstoßen zu haben. Die Episode findet sich auch bei Valerius Maximus, der das von der Priesterin erflehte Wunder beschreibt: Sie stellte sich den Richtern mit einem Sieb voller Wasser, das sie aus dem Tiber geschöpft hatte. Kein einziger Tropfen ging verloren. Mit göttlicher Hilfe konnte die Jungfrau so ihre Unschuld beweisen. (Obgleich Livius und Plinius in der Naturalis Historia [XXVIII: 2 zu Tuccia] über zahlreiche Prozesse gegen Vestalinnen berichten, scheint Valerius Maximus im Fall der Tuccia-Episode, die in Factorum et dictorum memorabilium… VII: 1:5 erzählt wird, die Hauptquelle zu sein. Ein weiteres Wunder im Zusammenhang mit der Vestalin Claudia Quinta wurde von Ovid berichtet und ebenfalls gelegentlich als Bildthema gewählt).

Im vorliegenden Gemälde ist das Thema vor dem Hintergrund prächtiger römischer Paläste angesiedelt. Der Thron des Pontifex Maximus, welchem die Jungfrau das Sieb entgegenhält, wird von einer schweren, an einer mächtigen kannelierten Säule befestigten Draperie gerahmt. Die Figuren scheinen nicht miteinander zu interagieren; nur in den Zügen des bärtigen Mannes und des Soldaten rechts neben dem Pontifex scheint sich fragendes Erstaunen angesichts der Szene abzuzeichnen. Der rechts erscheinende elegante Hellebardier mit der in der Hüfte aufgestützten Hand, der dem Betrachter im Dreiviertelprofil zugewendet ist, scheint gedankenverloren und nimmt von der dargestellten Szene keine Notiz.

Von der Szene geht vielmehr eine feierliche Verhaltenheit aus, was dazu beiträgt, das Gemälde im Umkreis einer sich in Rom in den 1630er- und 1640er-Jahren vollziehenden stilistischen Entwicklung zuzuordnen, als die imposante barocke Bildsprache Pietro da Cortonas Seite an Seite mit dem Bologneser Klassizismus und der noch strengeren literarischen Bildauffassung eines Nicolas Poussin bestand.

Während die Architekturkulisse und die elegant gekleideten Figuren des vorliegenden Gemäldes auf eine Kenntnis des Frühwerks Pietro da Cortonas verweisen, spricht die abstrahierte Erzählweise des Bildthemas für die klassische Bildsprache der ersten Dekaden des 17. Jahrhunderts. Nicht zufällig steht das Gemälde in dieser Hinsicht dem Schaffen Giovan Battista Ruggeris nahe, eines Künstlers, der seine Ausbildung in Bologna als Schüler Domenichinos an dessen jeweiligen Einsatzorten erhielt. Ruggeri war auch Mitarbeiter in Cassiano dal Pozzos Museum Cartaceum und stand zweifellos in Kontakt mit Malern, die zwar für ihre Nähe zum emilianischen Kreis und zu den in Rom tätigen Franzosen bekannt sind, aber – wie auch François Perrier – nichtsdestotrotz zu den „cortoneschi“ gezählt werden (siehe F. Cappelletti, in: F. Cappelletti/L. Testa, Il trattenimento di virtuosi. Le collezioni secentesche di quadri nei palazzo Mattei di Roma, Rom 1994, S. 121–123, zur Biografie Ruggeris und zur Zuschreibung von zwei Gemälden in der Sammlung des Palazzo Barberini an den Künstler).

Das vorliegende Gemälde fällt sicherlich in den Dunstkreis des Beitrags der Barberini zur damaligen Kunstdebatte (zur Cortona-Nachfolge in Frankreich und zu den in Frankreich nachhaltig gültigen Folgen der Debatte „Barock versus Klassik“ Ende der 1620er-Jahre siehe B. Gady, Una gloria senza fortuna: Pietro da Cortona e la Francia in: Pietro da Cortona, hrsg. von A. Lo Bianco, Ausstellungskatalog, Rom 1998, S. 153–163, mit vorangegangener Literatur) – in zweifacher Hinsicht: zum einen aufgrund der Wahl des seltenen antiken Themas, zum anderen aufgrund der Treue des Bildes gegenüber der alten literarischen Quelle. Zudem trägt es mit zahlreichen stilistischen Bezugnahmen den Interessen des sich um Cassiano dal Pozzo und Francesco Barberini scharenden Kreises römischer Antikenkenner Rechnung, der später den Nährboden für den verfeinerten Malstils Charles Errards sowie Pierre und Nicolas Mignards bilden sollte.

Im Fall der Vestalin Tuccia verweisen die vollen, verkürzten Gesichtszüge der Jungfrau auf emilianische Vorbilder, während die elegante Abgehobenheit des Hellebardiers die klassizierende, losgelöste Welt des Giacinto Gimignani vorwegzunehmen scheint.

Die kompositorische Assonanz des Werks und die Wahl des Antikenthemas verweisen auf eine Autorenschaft Giovan Battista Ruggeris, gen. Battistino del Gessi. Bei ihm handelt es sich um einen faszinierenden und immer noch geheimnisumwobenen Künstler (beispielsweise wurde sein Todesjahr erst kürzlich aufgrund dokumentarischer Hinweise mit 1633 bestätigt; siehe A. Perri, La data di morte di Giovan Battista Ruggeri in: Decorazione e collezionismo a Roma nel Seicento, hrsg. v. F. Cappelletti, Rom, o. J. [2003], S. 107–112), der Antiken zeichnete, mit François Perrier zusammenarbeitete und für Vincenzo Giustiniani tätig war, für den er das heute in Potsdam befindliche Bild Moses vor dem Pharao schuf. Die Soldaten und Schaulustigen im Hintergrund dieses letztgenannten Gemäldes ebenso wie des heute im Palazzo Barberini befindlichen Bildes David und Abigail (ehemals Sammlung Santacroce und Sammlung Mattei) sind jenen unseres Gemäldes sehr ähnlich: Sie sind frontal wiedergegeben, und ihre Entfernung auf der Bildfläche gegenüber den üppig gekleideten Figuren des Vordergrunds wird durch eine abgedämpfte Farbigkeit zum Ausdruck gebracht. Die schon eingangs bemerkte Feierlichkeit der Szene und die Andeutung einer halbkreisförmigen Figurenanordnung erinnern auch an die Mäßigung des Scipio, das Gegenstück zu David und Abigail und damit an jenes Werk, das unserer Vestalin Tuccia kompositorisch am nächsten steht.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 17.10.2017 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 07.10. - 17.10.2017

Warum bei myDOROTHEUM registrieren?

Die kostenlose Registrierung bei myDOROTHEUM ermöglicht Ihnen die komplette Nutzung folgender Funktionen:

Katalog Benachrichtigungen sobald ein neuer Auktionskatalog online ist.
Auktionstermin Erinnerung zwei Tage vor Auktionsbeginn.
Mitbieten Bieten Sie auf Ihre Lieblingsstücke und ersteigern Sie neue Meisterwerke!
Suchservice Sie suchen nach einem bestimmten Künstler oder einer bestimmten Marke? Speichern Sie Ihre Suche ab und werden Sie automatisch informiert, sobald diese in einer Auktion angeboten werden!