Lot Nr. 107 -


Étienne Jeaurat


Étienne Jeaurat - Alte Meister

(Paris 1699-1789 Versailles)
„Le villageois qui cherche son veau“,
Öl auf Leinwand, 65 x 81,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Auktion, Tajan, Paris, 25. June 2003, Lot 66;
Auktion, Christie’s, New York, 19. April 2007, Lot 271;
Auktion, Christie’s, New York, 19. April 2018, Lot 242;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Am 14. Dezember 1789, kurz nach Erstürmung der Bastille und dem Zug der Frauen nach Versailles, schied Étienne Jeaurat aus dem Leben, wodurch ihm die bevorstehenden Ereignisse der Französischen Revolution erspart blieben. Die Welt, deren Interpret und Protagonist er war, hörte genau in jenem Augenblick zu bestehen auf, als der Künstler starb. Von nun war die Epoche Ludwigs XV. und Madame de Pompadours sowie Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes eine korrupte Zeit, die es zu vergessen und zu verurteilen galt.

Étienne Jeaurat wurde 1699 in eine Familie geboren, die keinerlei Beziehungen zur Kunstwelt von Paris hatte; der Vater handelte mit Wein. Jeaurat wurde bald zum Waisen und begann bei Nicolas Vleughels zu studieren, dem Direktor der Französischen Akademie in Rom von 1724 bis zu seinem Tod und engen Freund Jean-Antoine Watteaus. Die Karriere des Künstlers kam schnell in Schwung und zeitigte Früchte: 1731 trat Jeaurat in die Académie royale in Paris ein, wo er 1733 die Stelle für Historienmalerei erhielt. Ehe er 1781 Rektor wurde, rückte er in verschiedene akademische Positionen auf und mehrte sein Ansehen in künstlerischen und gesellschaftlichen Kreisen. Ab 1765 fungierte er als Konservator der Gemäldesammlung des Königs in Versailles.

Jeaurats Œuvre umfasst Gemälde zu unterschiedlichsten Themen, von historischen, religiösen und mythologischen Werken bis zu Porträts und Stillleben. Der Künstler war besonders vielseitig und ein Meister von Genre- und Marktbildern sowie galanten Szenen. Diese wurden von seinen Zeitgenossen - wie vor allem der Marquise de Pompadour - äußerst geschätzt und von zahlreichen Stechern aufgegriffen.

Das vorliegende Werk zeigt die zärtliche Begegnung eines jungen Paars auf einer Lichtung; der Hund, der die beiden Liebenden beobachten sollte, ist still und schläfrig, während die Attribute des gesellschaftlichen Lebens - Fächer, Dreispitz, Stock und Schwert - beiseitegelegt worden sind, was auf ein Vergessen der Etikette hinweisen könnte. Von den Wedeln des Baums zur rechten Seite hin hebt sich ein Bauer ab, der die beiden jungen Liebenden überrascht hat und mit einem Finger in die Ferne zeigt. Hinter den Figuren sieht man einen beinahe zweidimensionalen, in Pastellfarben angelegten Horizont und kann ein Gebäude ausnehmen. Der Anordnung liegen zweifellos vom Künstler für eine Gobelinmanufaktur angefertigte Kartons zugrunde, die sich durch einen Mangel an Tiefe auszeichnen.

Unschwer ist zu erkennen, dass das Thema eine Geschichte aus den Cent nouvelles nouvelles von Jean de La Fontaine (1621-1695), einem der berühmtesten französischen Schriftsteller und Dichter, aufgreift, der im 18. Jahrhundert für sein Lob der Promiskuität besonders geschätzt wurde. Der Bauer ist auf der Suche nach seinem verlorenen Kalb auf einen Baum geklettert und erkundigt sich bei den Liebenden, ob sie es gesehen haben:

Un villageois, ayant perdu son veau,
L’alla chercher dans la forêt prochaine.
Il se plaça sur l’arbre le plus beau,
Pour mieux entendre, et pour voir dans la plaine.
Vient une Dame avec un jouvenceau.
Le lieu leur plaît, l’eau leur vient à la bouche,
Et le Galant, qui sur l’herbe la couche,
Crie, en voyant je ne sais quels appas.
« Ô Dieux ! que vois-je ! et que ne vois-je pas ! »
Sans dire quoi: car c’étaient lettres closes.
Lors le Manant les arrêtant tout coi:
« Homme de bien, qui voyez tant de choses,
Voyez-vous point mon veau ? dites-le-moi. »

De La Fontaines Geschichten eigneten sich sehr gut dafür, in Drucke oder Gemälde übersetzt zu werden, und boten nicht nur eine ausgezeichnete Inspirationsquelle für Künstler, sondern erfreuten auch mögliche Käufer. Besonders Der Bauer, der sein Kalb suchte regte berühmte Künstler wie Jean-Honoré Fragonard zu zahlreichen Skizzen und Zeichnungen an. Étienne Jeaurat könnte die Erzählung für ein Kabinettgemälde oder, bedenkt man die Untersicht, für eine Sopraporte verwendet haben, die den Raum über einer Tür schmücken sollte. Gestützt wird diese Hypothese durch die Existenz eines anderen, gleich großen Gemäldes desselben Künstlers, welches eine andere Geschichte des Dichters darstellt: Bruder Philipps Gänse (signiert und datiert „Jeaurat pinxit 1734“, Musée de Valenciennes). Das Werk des Musée de Valenciennes, das eine auf dieselbe Weise geblendete Dame zeigt wie die in Der Bauer, der sein Kalb suchte dargestellte, könnte man wohl als Gegenstück zum vorliegenden Gemälde sehen, das einen Hinweis auf dessen Datierung gibt. Dem Werk Der Bauer, der sein Kalb suchte könnte also eine ganz bestimmte chronologische Position im Schaffen des französischen Malers zukommen.

Ähnliche Darstellungen von überraschten oder beobachteten Liebespaaren waren für diese Zeit charakteristisch. 1754 schuf François Boucher das Gemälde Die Überraschung zum Schmuck für Madame de Pompadours Château de Menars, während sich Jean-Honoré Fragonard mit Eifer zahlreichen Porträts überraschter Liebender widmete. Der voyeuristische Geschmack, dem diese Gemälde verpflichtet sind, spiegelt den Geist der Zeit wieder, dem sie entspringen - einer Zeit, in der Klatsch zur gesellschaftlichen Unterhaltung wurde und Ehebruch wie Konversation zu den am meisten gefeierten Künsten zählten.

23.10.2018 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 22.563,-
Schätzwert:
EUR 30.000,- bis EUR 40.000,-

Étienne Jeaurat


(Paris 1699-1789 Versailles)
„Le villageois qui cherche son veau“,
Öl auf Leinwand, 65 x 81,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Auktion, Tajan, Paris, 25. June 2003, Lot 66;
Auktion, Christie’s, New York, 19. April 2007, Lot 271;
Auktion, Christie’s, New York, 19. April 2018, Lot 242;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Am 14. Dezember 1789, kurz nach Erstürmung der Bastille und dem Zug der Frauen nach Versailles, schied Étienne Jeaurat aus dem Leben, wodurch ihm die bevorstehenden Ereignisse der Französischen Revolution erspart blieben. Die Welt, deren Interpret und Protagonist er war, hörte genau in jenem Augenblick zu bestehen auf, als der Künstler starb. Von nun war die Epoche Ludwigs XV. und Madame de Pompadours sowie Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes eine korrupte Zeit, die es zu vergessen und zu verurteilen galt.

Étienne Jeaurat wurde 1699 in eine Familie geboren, die keinerlei Beziehungen zur Kunstwelt von Paris hatte; der Vater handelte mit Wein. Jeaurat wurde bald zum Waisen und begann bei Nicolas Vleughels zu studieren, dem Direktor der Französischen Akademie in Rom von 1724 bis zu seinem Tod und engen Freund Jean-Antoine Watteaus. Die Karriere des Künstlers kam schnell in Schwung und zeitigte Früchte: 1731 trat Jeaurat in die Académie royale in Paris ein, wo er 1733 die Stelle für Historienmalerei erhielt. Ehe er 1781 Rektor wurde, rückte er in verschiedene akademische Positionen auf und mehrte sein Ansehen in künstlerischen und gesellschaftlichen Kreisen. Ab 1765 fungierte er als Konservator der Gemäldesammlung des Königs in Versailles.

Jeaurats Œuvre umfasst Gemälde zu unterschiedlichsten Themen, von historischen, religiösen und mythologischen Werken bis zu Porträts und Stillleben. Der Künstler war besonders vielseitig und ein Meister von Genre- und Marktbildern sowie galanten Szenen. Diese wurden von seinen Zeitgenossen - wie vor allem der Marquise de Pompadour - äußerst geschätzt und von zahlreichen Stechern aufgegriffen.

Das vorliegende Werk zeigt die zärtliche Begegnung eines jungen Paars auf einer Lichtung; der Hund, der die beiden Liebenden beobachten sollte, ist still und schläfrig, während die Attribute des gesellschaftlichen Lebens - Fächer, Dreispitz, Stock und Schwert - beiseitegelegt worden sind, was auf ein Vergessen der Etikette hinweisen könnte. Von den Wedeln des Baums zur rechten Seite hin hebt sich ein Bauer ab, der die beiden jungen Liebenden überrascht hat und mit einem Finger in die Ferne zeigt. Hinter den Figuren sieht man einen beinahe zweidimensionalen, in Pastellfarben angelegten Horizont und kann ein Gebäude ausnehmen. Der Anordnung liegen zweifellos vom Künstler für eine Gobelinmanufaktur angefertigte Kartons zugrunde, die sich durch einen Mangel an Tiefe auszeichnen.

Unschwer ist zu erkennen, dass das Thema eine Geschichte aus den Cent nouvelles nouvelles von Jean de La Fontaine (1621-1695), einem der berühmtesten französischen Schriftsteller und Dichter, aufgreift, der im 18. Jahrhundert für sein Lob der Promiskuität besonders geschätzt wurde. Der Bauer ist auf der Suche nach seinem verlorenen Kalb auf einen Baum geklettert und erkundigt sich bei den Liebenden, ob sie es gesehen haben:

Un villageois, ayant perdu son veau,
L’alla chercher dans la forêt prochaine.
Il se plaça sur l’arbre le plus beau,
Pour mieux entendre, et pour voir dans la plaine.
Vient une Dame avec un jouvenceau.
Le lieu leur plaît, l’eau leur vient à la bouche,
Et le Galant, qui sur l’herbe la couche,
Crie, en voyant je ne sais quels appas.
« Ô Dieux ! que vois-je ! et que ne vois-je pas ! »
Sans dire quoi: car c’étaient lettres closes.
Lors le Manant les arrêtant tout coi:
« Homme de bien, qui voyez tant de choses,
Voyez-vous point mon veau ? dites-le-moi. »

De La Fontaines Geschichten eigneten sich sehr gut dafür, in Drucke oder Gemälde übersetzt zu werden, und boten nicht nur eine ausgezeichnete Inspirationsquelle für Künstler, sondern erfreuten auch mögliche Käufer. Besonders Der Bauer, der sein Kalb suchte regte berühmte Künstler wie Jean-Honoré Fragonard zu zahlreichen Skizzen und Zeichnungen an. Étienne Jeaurat könnte die Erzählung für ein Kabinettgemälde oder, bedenkt man die Untersicht, für eine Sopraporte verwendet haben, die den Raum über einer Tür schmücken sollte. Gestützt wird diese Hypothese durch die Existenz eines anderen, gleich großen Gemäldes desselben Künstlers, welches eine andere Geschichte des Dichters darstellt: Bruder Philipps Gänse (signiert und datiert „Jeaurat pinxit 1734“, Musée de Valenciennes). Das Werk des Musée de Valenciennes, das eine auf dieselbe Weise geblendete Dame zeigt wie die in Der Bauer, der sein Kalb suchte dargestellte, könnte man wohl als Gegenstück zum vorliegenden Gemälde sehen, das einen Hinweis auf dessen Datierung gibt. Dem Werk Der Bauer, der sein Kalb suchte könnte also eine ganz bestimmte chronologische Position im Schaffen des französischen Malers zukommen.

Ähnliche Darstellungen von überraschten oder beobachteten Liebespaaren waren für diese Zeit charakteristisch. 1754 schuf François Boucher das Gemälde Die Überraschung zum Schmuck für Madame de Pompadours Château de Menars, während sich Jean-Honoré Fragonard mit Eifer zahlreichen Porträts überraschter Liebender widmete. Der voyeuristische Geschmack, dem diese Gemälde verpflichtet sind, spiegelt den Geist der Zeit wieder, dem sie entspringen - einer Zeit, in der Klatsch zur gesellschaftlichen Unterhaltung wurde und Ehebruch wie Konversation zu den am meisten gefeierten Künsten zählten.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 23.10.2018 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 13.10. - 23.10.2018


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer(für Lieferland Österreich)

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