Lot Nr. 390


Elisabetta Sirani


Elisabetta Sirani - Alte Meister

(Bologna 1638–1665)
(mit Beteiligung von Giovanni Andrea Sirani, Bologna 1610–1670)
Die Auffindung des Mosesknaben,
Öl auf undoublierter Leinwand, 112,5 x 130 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Südamerika;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken Adelina Modesti, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung.

Elisabetta Sirani war die berühmtere Tochter des angesehenen Bologneser Künstlers und Kunsthändlers Giovanni Andrea Sirani, des wichtigsten Gehilfen Guido Renis. Elisabetta wurde zur Malerin und Stecherin ausgebildet; schon in ihren frühen Zwanzigern war sie Meisterin in der Werkstatt Siranis, als ihr Vater aufgrund einer Erkrankung nicht mehr malen konnte. Zudem war sie Professorin an der Accademia di San Luca in Rom und eine der ersten Künstlerinnen Europas, die eine Kunstschule für Frauen gründete, der auch ihre beiden Schwestern Barbara und Anna Maria angehörten. Elisabetta wurde Bolognas gefeiertste und erfolgreichste Künstlerin, und ihr Werk war bereits während ihres kurzen Lebens in allen wichtigen europäischen Sammlungen vertreten.

Elisabetta Sirani spielte Mitte des 17. Jahrhunderts bei der Entwicklung der Bologneser Schule der Malerei eine wichtige Rolle und war eine zentrale Vermittlerin zwischen dem eleganten barocken Klassizismus Guido Renis, der die erste Hälfte des Jahrhunderts beherrschte, und den nachfolgenden Künstlergenerationen. Außerdem gehörte sie zu den gebildetsten, erfolgreichsten und produktivsten Kunstschaffenden des Bologneser Seicento; sie erhielt zahlreiche öffentliche Aufträge, und in einer männlich dominierten Profession brachten ihr Kritiker Lob und Respekt entgegen. Die fleißige und außergewöhnlich schnell arbeitende Elisabetta, die bekannt dafür war, in nur einer Sitzung ein Brustbild fertigstellen zu können, vollendete in einer kaum eine Dekade umspannenden Laufbahn (1654–1665) an die 200 Gemälde (von denen die meisten im Arbeitstagebuch der Künstlerin Nota delle pitture fatte da me Elisabetta Sirani, das später von Conte Carlo Cesare Malvasia in seiner Künstlerbiografie Felsina Pittrice von 1678 veröffentlicht wurde, aufscheinen), 15 Druckgrafiken sowie unzählige Zeichnungen und Pinselskizzen. Wie archivalische Dokumente bestätigen, gehörte Elisabetta bald zu den begehrtesten und am häufigsten gesammelten Bologneser Kunstschaffenden des 17. und 18. Jahrhunderts, und ihre Werke sind heute in den großen öffentlichen und privaten Sammlungen in aller Welt vertreten.

Als „ultramoderne“ Künstlerin des Hochbarocks war Elisabetta Sirani überaus beliebt. Die hochtalentierte Künstlerin wurde ob ihrer technischen Bravour und künstlerischen Virtuosität bewundert. In ihren eleganten, von Belesenheit zeugenden Bildern entwickelte sie eine flotte, ausdrucksstarke Malweise, die sich durch eine breite Pinselführung und einen flüssigen Farbauftrag (sprezzatura) in Verbindung mit einer erlesenen Farbigkeit (colorito) und tiefen Schatten (chiaroscuro) auszeichnet.

Dies zeigt sich auch in der vorliegenden Auffindung des Mosesknaben, deren Farbpalette von hellen Rosa- und Blaugrautönen bis zu satten Grün-, Ocker- und Rottönen reicht. Mit dem starken Licht, das auf die ägyptische Prinzessin und den Säugling Moses fällt, welches sie im Schilf des Nils aufgefunden hat, kontrastieren die dunklen Schatten, die die Szene und die Figuren im Hintergrund umfangen, welcher sich wiederum zu einer lichterfüllten, diesig-blauen Landschaft öffnet, durch die sich der Fluss schlängelt. Moses war von seiner hebräischen Mutter im Schilf des Nilufers versteckt worden, um ihn vor der Tötung der Kinder zu bewahren, die der Pharao befohlen hatte, um die israelitische Bevölkerung zu dezimieren. Moses, der von der Tochter des Pharaos – hier reich mit Perlen und Edelsteinen geschmückt – an Kindes statt angenommen wurde, wurde zum prophetischen Anführer der Israeliten, der sie aus der Sklaverei befreite und aus Ägypten heraus- und in Sicherheit brachte. Elisabettas typische breite, flüssige Pinselführung wird in der bewegten Wiedergabe der Faltenwürfe und im Impasto der Gesichter und des Inkarnats deutlich.

Modesti hat das vorliegende Gemälde in die frühen 1660er-Jahre datiert, als die Künstlerin sich von Reni, dem Vorbild ihres Frühwerks, löste und dazu überging, ihre Bilder mit mehr Drama und tieferen Schatten zu versehen. Die Gesichtstypen weisen Gemeinsamkeiten mit anderen Frauenfiguren Elisabetta Siranis aus dieser Zeit auf, etwa mit der 1657 entstandenen Allegorie der Tugend, der Cumäischen Sibylle aus dem Jahr 1660 und der Madonna mit dem Gürtel von 1663. Insbesondere die Züge der ägyptischen Prinzessin erinnern an jene der Kleopatra im Flint Institute of Art (Flint, Michigan); vor allem zu beachten sind dieselben mandelförmigen Augen mit den gewölbten Brauen und der breite Nasenrücken. Die Perlenohrringe der beiden Figuren zeigen dasselbe weiße Glanzlicht.

Besonders beachtenswert ist die naturalistische Wiedergabe des Kopfes und des Gesichts der das Kind haltenden Begleiterin (möglicherweise dessen hebräische Amme), die stark am Naturalismus des Hauptes von Anna Maria Ranuzzi angelehnt ist, die Elisabetta 1665 in einer Allegorie der Nächstenliebe darstellte. Ebenso bemerkenswert sind die Hände dieser Begleiterin, während die Haltung und Positionierung der Prinzessin in Elisabettas Portia von 1664 widerhallt.

Auch das mittig im Vordergrund platzierte Stilllebenarrangement fällt ins Auge: Blütenblätter und Blätter sind mit einer derartigen Sicherheit und dabei Leichtigkeit gemalt, dass ihre zarte, zerbrechliche Natur spürbar wird, was womöglich auf das bedrohliche Schicksal anspielen soll, dem das Kind entronnen ist. Elisabetta band oft derartige stilllebenartigen Details in ihre Bilder ein, etwa im Porträt eines Knaben von 1657 (heute in einer Privatsammlung; siehe Modesti 2014, Tafel 4) oder im Gemälde Der hl. Antonius von Padua in Anbetung des Jesuskindes von 1662 in der Pinacoteca Nazionale di Bologna (Modesti 2014, Tafel 22).

Elisabetta Sirani hat in ihren Nota kein Werk dieses Themas verzeichnet, noch ist ein Moses von ihrer Hand in den auf uns gekommenen Dokumenten und Inventaren erwähnt. Der Auftraggeber, für den das Werk entstanden ist, lässt sich daher nicht identifizieren. Es gibt jedoch eine Zeichnung mit der Auffindung des Mosesknaben im Metropolitan Museum of Art in New York, die einst Elisabetta zugeschrieben war, aber mittlerweile dem lombardischen Künstler Il Montalto gegeben wird. Adelina Modesti ist der Auffassung, dass die Zeichnung wieder in das grafische Oeuvre Elisabetta Siranis eingeordnet werden sollte, zumal das Blatt alle Merkmale ihrer flüssigen Laviertechnik und ihrer Figurentypen aufweist.

Es scheint, dass Elisabetta bei der Ausführung dieses Werks Hilfe bekam. Insbesondere die beiden Figuren im linken Hintergrund lassen an den Malstil von Elisabettas Vater Giovanni Andrea Sirani denken. Die beiden arbeiteten oft an Bildern, die in der Sirani-Werkstatt entstanden, zusammen, die Mitte des 17. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten und produktivsten Werkstätten Bolognas zählte. Das Bildkonzept zu dem vorliegenden Gemälde, bei dessen Thema Frauen, die im Schaffen Elisabetta Siranis oft eine zentrale Rolle spielten, im Mittelpunkt stehen, sowie die Gesamtkomposition insgesamt stammen zweifellos von dieser bedeutenden und einflussreichen Künstlerin.

30.04.2019 - 17:00

Erzielter Preis: **
EUR 186.300,-
Schätzwert:
EUR 150.000,- bis EUR 200.000,-

Elisabetta Sirani


(Bologna 1638–1665)
(mit Beteiligung von Giovanni Andrea Sirani, Bologna 1610–1670)
Die Auffindung des Mosesknaben,
Öl auf undoublierter Leinwand, 112,5 x 130 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Südamerika;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken Adelina Modesti, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung.

Elisabetta Sirani war die berühmtere Tochter des angesehenen Bologneser Künstlers und Kunsthändlers Giovanni Andrea Sirani, des wichtigsten Gehilfen Guido Renis. Elisabetta wurde zur Malerin und Stecherin ausgebildet; schon in ihren frühen Zwanzigern war sie Meisterin in der Werkstatt Siranis, als ihr Vater aufgrund einer Erkrankung nicht mehr malen konnte. Zudem war sie Professorin an der Accademia di San Luca in Rom und eine der ersten Künstlerinnen Europas, die eine Kunstschule für Frauen gründete, der auch ihre beiden Schwestern Barbara und Anna Maria angehörten. Elisabetta wurde Bolognas gefeiertste und erfolgreichste Künstlerin, und ihr Werk war bereits während ihres kurzen Lebens in allen wichtigen europäischen Sammlungen vertreten.

Elisabetta Sirani spielte Mitte des 17. Jahrhunderts bei der Entwicklung der Bologneser Schule der Malerei eine wichtige Rolle und war eine zentrale Vermittlerin zwischen dem eleganten barocken Klassizismus Guido Renis, der die erste Hälfte des Jahrhunderts beherrschte, und den nachfolgenden Künstlergenerationen. Außerdem gehörte sie zu den gebildetsten, erfolgreichsten und produktivsten Kunstschaffenden des Bologneser Seicento; sie erhielt zahlreiche öffentliche Aufträge, und in einer männlich dominierten Profession brachten ihr Kritiker Lob und Respekt entgegen. Die fleißige und außergewöhnlich schnell arbeitende Elisabetta, die bekannt dafür war, in nur einer Sitzung ein Brustbild fertigstellen zu können, vollendete in einer kaum eine Dekade umspannenden Laufbahn (1654–1665) an die 200 Gemälde (von denen die meisten im Arbeitstagebuch der Künstlerin Nota delle pitture fatte da me Elisabetta Sirani, das später von Conte Carlo Cesare Malvasia in seiner Künstlerbiografie Felsina Pittrice von 1678 veröffentlicht wurde, aufscheinen), 15 Druckgrafiken sowie unzählige Zeichnungen und Pinselskizzen. Wie archivalische Dokumente bestätigen, gehörte Elisabetta bald zu den begehrtesten und am häufigsten gesammelten Bologneser Kunstschaffenden des 17. und 18. Jahrhunderts, und ihre Werke sind heute in den großen öffentlichen und privaten Sammlungen in aller Welt vertreten.

Als „ultramoderne“ Künstlerin des Hochbarocks war Elisabetta Sirani überaus beliebt. Die hochtalentierte Künstlerin wurde ob ihrer technischen Bravour und künstlerischen Virtuosität bewundert. In ihren eleganten, von Belesenheit zeugenden Bildern entwickelte sie eine flotte, ausdrucksstarke Malweise, die sich durch eine breite Pinselführung und einen flüssigen Farbauftrag (sprezzatura) in Verbindung mit einer erlesenen Farbigkeit (colorito) und tiefen Schatten (chiaroscuro) auszeichnet.

Dies zeigt sich auch in der vorliegenden Auffindung des Mosesknaben, deren Farbpalette von hellen Rosa- und Blaugrautönen bis zu satten Grün-, Ocker- und Rottönen reicht. Mit dem starken Licht, das auf die ägyptische Prinzessin und den Säugling Moses fällt, welches sie im Schilf des Nils aufgefunden hat, kontrastieren die dunklen Schatten, die die Szene und die Figuren im Hintergrund umfangen, welcher sich wiederum zu einer lichterfüllten, diesig-blauen Landschaft öffnet, durch die sich der Fluss schlängelt. Moses war von seiner hebräischen Mutter im Schilf des Nilufers versteckt worden, um ihn vor der Tötung der Kinder zu bewahren, die der Pharao befohlen hatte, um die israelitische Bevölkerung zu dezimieren. Moses, der von der Tochter des Pharaos – hier reich mit Perlen und Edelsteinen geschmückt – an Kindes statt angenommen wurde, wurde zum prophetischen Anführer der Israeliten, der sie aus der Sklaverei befreite und aus Ägypten heraus- und in Sicherheit brachte. Elisabettas typische breite, flüssige Pinselführung wird in der bewegten Wiedergabe der Faltenwürfe und im Impasto der Gesichter und des Inkarnats deutlich.

Modesti hat das vorliegende Gemälde in die frühen 1660er-Jahre datiert, als die Künstlerin sich von Reni, dem Vorbild ihres Frühwerks, löste und dazu überging, ihre Bilder mit mehr Drama und tieferen Schatten zu versehen. Die Gesichtstypen weisen Gemeinsamkeiten mit anderen Frauenfiguren Elisabetta Siranis aus dieser Zeit auf, etwa mit der 1657 entstandenen Allegorie der Tugend, der Cumäischen Sibylle aus dem Jahr 1660 und der Madonna mit dem Gürtel von 1663. Insbesondere die Züge der ägyptischen Prinzessin erinnern an jene der Kleopatra im Flint Institute of Art (Flint, Michigan); vor allem zu beachten sind dieselben mandelförmigen Augen mit den gewölbten Brauen und der breite Nasenrücken. Die Perlenohrringe der beiden Figuren zeigen dasselbe weiße Glanzlicht.

Besonders beachtenswert ist die naturalistische Wiedergabe des Kopfes und des Gesichts der das Kind haltenden Begleiterin (möglicherweise dessen hebräische Amme), die stark am Naturalismus des Hauptes von Anna Maria Ranuzzi angelehnt ist, die Elisabetta 1665 in einer Allegorie der Nächstenliebe darstellte. Ebenso bemerkenswert sind die Hände dieser Begleiterin, während die Haltung und Positionierung der Prinzessin in Elisabettas Portia von 1664 widerhallt.

Auch das mittig im Vordergrund platzierte Stilllebenarrangement fällt ins Auge: Blütenblätter und Blätter sind mit einer derartigen Sicherheit und dabei Leichtigkeit gemalt, dass ihre zarte, zerbrechliche Natur spürbar wird, was womöglich auf das bedrohliche Schicksal anspielen soll, dem das Kind entronnen ist. Elisabetta band oft derartige stilllebenartigen Details in ihre Bilder ein, etwa im Porträt eines Knaben von 1657 (heute in einer Privatsammlung; siehe Modesti 2014, Tafel 4) oder im Gemälde Der hl. Antonius von Padua in Anbetung des Jesuskindes von 1662 in der Pinacoteca Nazionale di Bologna (Modesti 2014, Tafel 22).

Elisabetta Sirani hat in ihren Nota kein Werk dieses Themas verzeichnet, noch ist ein Moses von ihrer Hand in den auf uns gekommenen Dokumenten und Inventaren erwähnt. Der Auftraggeber, für den das Werk entstanden ist, lässt sich daher nicht identifizieren. Es gibt jedoch eine Zeichnung mit der Auffindung des Mosesknaben im Metropolitan Museum of Art in New York, die einst Elisabetta zugeschrieben war, aber mittlerweile dem lombardischen Künstler Il Montalto gegeben wird. Adelina Modesti ist der Auffassung, dass die Zeichnung wieder in das grafische Oeuvre Elisabetta Siranis eingeordnet werden sollte, zumal das Blatt alle Merkmale ihrer flüssigen Laviertechnik und ihrer Figurentypen aufweist.

Es scheint, dass Elisabetta bei der Ausführung dieses Werks Hilfe bekam. Insbesondere die beiden Figuren im linken Hintergrund lassen an den Malstil von Elisabettas Vater Giovanni Andrea Sirani denken. Die beiden arbeiteten oft an Bildern, die in der Sirani-Werkstatt entstanden, zusammen, die Mitte des 17. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten und produktivsten Werkstätten Bolognas zählte. Das Bildkonzept zu dem vorliegenden Gemälde, bei dessen Thema Frauen, die im Schaffen Elisabetta Siranis oft eine zentrale Rolle spielten, im Mittelpunkt stehen, sowie die Gesamtkomposition insgesamt stammen zweifellos von dieser bedeutenden und einflussreichen Künstlerin.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 30.04.2019 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 20.04. - 30.04.2019


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