Lot Nr. 84


Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino


Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino - Alte Meister

(Cento 1591–1666 Bologna)
Die Vision des heiligen Hieronymus,
Öl auf Leinwand, 42,9 x 50,4 cm, gerahmt

Provenienz:
vermutlich Kardinal Ludovisi, Rom, 1633;
Sammlung William Douglas-Hamilton, 12. Herzog von Hamilton;
dessen Auktion, Christie’s, London, 24. Juni 1882, Lot 350;
verkauft an J. Knowles um £16.16s;
Sammlung Mr. und Mrs. Fielding Lewis Marshall, Chicago;
deren Auktion, Sotheby’s, London, 31. Dezember 1973 – 8. Januar 1974, Lot 77 (Absage der Auktion nach Veröffentlichung des Katalogs);
deren Auktion, Bonham’s, London, 28. März 1974, Lot 36;
dort durch den jetzigen Besitzer erworben

Literatur:
G. B. Passeri, Vite de’ pittori, scultori ed architetti, che anno lavorato in Roma, morti dal 1641 fino al 1673, in: J. Hess (Hg.), Die Künstlerbiographien von Giovanni Battista Passeri, Leipzig 1934, S. 354;
L. Salerno, I Dipinti del Guercino, Rom 1988, S. 139, Erwähnung unter Nr. 60 (als Kopie);
S. Loire, Musée du Louvre, département des peintures. Ecole Italienne, XVIIe siècle: 1. Bologne, Paris 1996, S. 242 (unter den Kopien);
N. Turner, The Paintings of Guercino, Rom 2017, S. 216–219, 340, Nr. 85.I (als Testversion für Guercinos Kupfertafel im Louvre)

Bei dem vorliegenden Gemälde, einem Andachtsbild, das ursprünglich zur Sammlung William Douglas-Hamiltons, des 12. Herzogs von Hamilton (1845–1895), gehörte, handelt es sich offenbar um einen bozzetto oder eine Probefassung für das finale, auf Kupfer ausgeführte Werk der Vision des heiligen Hieronymus im Musée du Louvre, Paris (Inv.-Nr. 82). Im Vergleich zur Louvre-Fassung, die ähnliche Maße aufweist (41,5 x 47,5 cm) und sich einst in der Sammlung des Kardinals Ludovico Ludovisi (1595–1632) befand, ist dieser bozzetto bzw. diese Studie mit flotten, feinen Pinselstrichen und abgemildertem Helldunkel gemalt. Ein schmaler Rand umgibt die Leinwand, stellenweise unterbrochen von Farbüberlagerungen: Diese Rahmung entspricht annährend den Proportionen der finalen Fassung. Die Untersuchung des Leinwandbildes hat mehrere Pentimente sowohl im rechten Knie als auch im linken Fuß des Heiligen ergeben. Auch der Totenschädel unter den großen Büchern rechts unten erscheint im Vergleich zur ausgeführten Kupfertafel etwas kleiner, und die Seiten des geöffneten Buches sind unbeschrieben.

Während man mit Sicherheit sagen kann, dass die Version des Louvre mit dem im Ludovisi-Inventar von 1623 beschriebenen Werk identisch ist, ist es, wie Turner in seinem Werkverzeichnis zu Guercino vorgeschlagen hat, möglich, dass das vorliegende Gemälde jenes ist, das im Nachlassinventar des Kardinals von 1633 verzeichnet ist. Unter Nr. 97 ist dort zu lesen: „Un San Girolamo disteso con un Angelo che gli suona la tromba sopra: alto palmi due et un quarto cornice dorata, et intagliata di mano del Guercino“ [„Ein hingestreckter heiliger Hieronymus mit einem Trompete blasenden Engel über ihm: zweieinviertel Palmi hoch, geschnitzter und vergoldeter Rahmen, von der Hand Guercinos“]. Das verzeichnete Werk wird nicht als Gemälde auf Kupfer beschrieben, und die Maße stimmen mit dem vermuteten originalen Rahmenmaßen des vorliegenden Gemäldes überein. 1679 erwähnt Giovanni Battista Passeri in seinen Viten schließlich ein Gemälde mit folgender Darstellung: „Un San Girolamo figura intiera in atto prostrato sopra d’un sasso rivolto al Cielo con le braccia stese, mostrando d’essere atterrito dal suono della tromba, che udirassi nell’universale Giudizio, figura assai di buon gusto e di buona maniera“ [„Ein heiliger Hieronymus, ganzfigurig ausgestreckt auf einem Felsen, dem Himmel zugewandt, mit ausgestreckten Armen, die andeuten, dass ihn der Krawall einer Trompete, wie sie beim Jüngsten Gericht ertönen wird, zu Boden gebracht hat, eine Figur von sehr gutem Geschmack und gutem Stil“]. Der Autor macht keine Angaben zum Aufbewahrungsort des Werks, obgleich es unwahrscheinlich ist, dass er sich auf die Louvre-Fassung bezog, die sich 1662 bereits in Frankreich befand.

Die Komposition des heiligen Hieronymus war ursprünglich als Hochformat konzipiert. Auf einer Zeichnung im Ashmolean Museum, Oxford, stellt Guercino die Figur auf den Kopf, um einen bärtigen alten Mann darzustellen, der neben einem Stuhl zu Boden gefallen ist (Inv.-Nr. WA2012.59): Dabei könnte es sich um eine Studie nach dem Modell für das Gemälde handeln. Es gibt auch eine weitere Zeichnung gleichen Formats in einer Privatsammlung in Florenz, auf der Guercino die Bildidee des Heiligen mit erhobenen Armen und dem Trompete spielenden Engel ausprobiert, während eine Zeichnung in der Courtauld Gallery in London (Inv.-Nr. D.1952.RW.3486.1) – mit einer Zuschreibung an Donato Creti, die man jedoch vermutlich zugunsten des emilianischen Meisters revidieren sollte – ebenfalls mit der vorliegenden Komposition in Verbindung gebracht werden kann. Dort hat der Künstler einen Felsen oder eine verfallene Mauer zwischen dem Körper des Heiligen und der Landschaft eingefügt, um einen dunklen Hintergrund zu erhalten, vor dem sich die vom Licht erfasste Form der Figur abheben kann.

Von allen Künstlern hat Guercino den heiligen Hieronymus am häufigsten als Bildthema gewählt, wovon zahlreiche mit unterschiedlichen Modellen arbeitende und unterschiedliche Stimmungen vermittelnde Gemälde, Altarbilder und Zeichnungen zeugen. Sie sprechen für den Tiefgang und die Intensität der Beschäftigung des Künstlers mit diesem Thema. Die Komposition der Vision des heiligen Hieronymus reiht sich unter Guercinos gelungenste Bildlösungen und war möglicherweise die beliebteste unter seinen kleinformatigen Gemälden, die vom Künstler selbst, von seinen Gehilfen und später auch von seinen Kopisten wiederholt wurde. Vom vorliegenden Sujet kennt man über fünfzehn Fassungen, die Mehrzahl davon Kopien, alle von etwa derselben Größe. Neben dem vorliegenden eigenhändigen Gemälde scheint auch eine weitere auf Leinwand gemalte Version (44,5 x 50,5 cm) in einer Privatsammlung von der Hand Guercinos zu stammen (Turner 2017, S. 219, Abb. 178). Letztere, die der Version des Louvre näher steht als dem hier besprochenen bozzetto, zeigt weniger Korrekturen in der Unterzeichnung: Es liegt daher nahe, dass sie auf die beiden früheren Fassungen folgte, wo es Unterschiede hinsichtlich der Größenverhältnisse des Engels und des offenen Buches gibt.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

10.11.2020 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 45.300,-
Schätzwert:
EUR 25.000,- bis EUR 30.000,-

Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino


(Cento 1591–1666 Bologna)
Die Vision des heiligen Hieronymus,
Öl auf Leinwand, 42,9 x 50,4 cm, gerahmt

Provenienz:
vermutlich Kardinal Ludovisi, Rom, 1633;
Sammlung William Douglas-Hamilton, 12. Herzog von Hamilton;
dessen Auktion, Christie’s, London, 24. Juni 1882, Lot 350;
verkauft an J. Knowles um £16.16s;
Sammlung Mr. und Mrs. Fielding Lewis Marshall, Chicago;
deren Auktion, Sotheby’s, London, 31. Dezember 1973 – 8. Januar 1974, Lot 77 (Absage der Auktion nach Veröffentlichung des Katalogs);
deren Auktion, Bonham’s, London, 28. März 1974, Lot 36;
dort durch den jetzigen Besitzer erworben

Literatur:
G. B. Passeri, Vite de’ pittori, scultori ed architetti, che anno lavorato in Roma, morti dal 1641 fino al 1673, in: J. Hess (Hg.), Die Künstlerbiographien von Giovanni Battista Passeri, Leipzig 1934, S. 354;
L. Salerno, I Dipinti del Guercino, Rom 1988, S. 139, Erwähnung unter Nr. 60 (als Kopie);
S. Loire, Musée du Louvre, département des peintures. Ecole Italienne, XVIIe siècle: 1. Bologne, Paris 1996, S. 242 (unter den Kopien);
N. Turner, The Paintings of Guercino, Rom 2017, S. 216–219, 340, Nr. 85.I (als Testversion für Guercinos Kupfertafel im Louvre)

Bei dem vorliegenden Gemälde, einem Andachtsbild, das ursprünglich zur Sammlung William Douglas-Hamiltons, des 12. Herzogs von Hamilton (1845–1895), gehörte, handelt es sich offenbar um einen bozzetto oder eine Probefassung für das finale, auf Kupfer ausgeführte Werk der Vision des heiligen Hieronymus im Musée du Louvre, Paris (Inv.-Nr. 82). Im Vergleich zur Louvre-Fassung, die ähnliche Maße aufweist (41,5 x 47,5 cm) und sich einst in der Sammlung des Kardinals Ludovico Ludovisi (1595–1632) befand, ist dieser bozzetto bzw. diese Studie mit flotten, feinen Pinselstrichen und abgemildertem Helldunkel gemalt. Ein schmaler Rand umgibt die Leinwand, stellenweise unterbrochen von Farbüberlagerungen: Diese Rahmung entspricht annährend den Proportionen der finalen Fassung. Die Untersuchung des Leinwandbildes hat mehrere Pentimente sowohl im rechten Knie als auch im linken Fuß des Heiligen ergeben. Auch der Totenschädel unter den großen Büchern rechts unten erscheint im Vergleich zur ausgeführten Kupfertafel etwas kleiner, und die Seiten des geöffneten Buches sind unbeschrieben.

Während man mit Sicherheit sagen kann, dass die Version des Louvre mit dem im Ludovisi-Inventar von 1623 beschriebenen Werk identisch ist, ist es, wie Turner in seinem Werkverzeichnis zu Guercino vorgeschlagen hat, möglich, dass das vorliegende Gemälde jenes ist, das im Nachlassinventar des Kardinals von 1633 verzeichnet ist. Unter Nr. 97 ist dort zu lesen: „Un San Girolamo disteso con un Angelo che gli suona la tromba sopra: alto palmi due et un quarto cornice dorata, et intagliata di mano del Guercino“ [„Ein hingestreckter heiliger Hieronymus mit einem Trompete blasenden Engel über ihm: zweieinviertel Palmi hoch, geschnitzter und vergoldeter Rahmen, von der Hand Guercinos“]. Das verzeichnete Werk wird nicht als Gemälde auf Kupfer beschrieben, und die Maße stimmen mit dem vermuteten originalen Rahmenmaßen des vorliegenden Gemäldes überein. 1679 erwähnt Giovanni Battista Passeri in seinen Viten schließlich ein Gemälde mit folgender Darstellung: „Un San Girolamo figura intiera in atto prostrato sopra d’un sasso rivolto al Cielo con le braccia stese, mostrando d’essere atterrito dal suono della tromba, che udirassi nell’universale Giudizio, figura assai di buon gusto e di buona maniera“ [„Ein heiliger Hieronymus, ganzfigurig ausgestreckt auf einem Felsen, dem Himmel zugewandt, mit ausgestreckten Armen, die andeuten, dass ihn der Krawall einer Trompete, wie sie beim Jüngsten Gericht ertönen wird, zu Boden gebracht hat, eine Figur von sehr gutem Geschmack und gutem Stil“]. Der Autor macht keine Angaben zum Aufbewahrungsort des Werks, obgleich es unwahrscheinlich ist, dass er sich auf die Louvre-Fassung bezog, die sich 1662 bereits in Frankreich befand.

Die Komposition des heiligen Hieronymus war ursprünglich als Hochformat konzipiert. Auf einer Zeichnung im Ashmolean Museum, Oxford, stellt Guercino die Figur auf den Kopf, um einen bärtigen alten Mann darzustellen, der neben einem Stuhl zu Boden gefallen ist (Inv.-Nr. WA2012.59): Dabei könnte es sich um eine Studie nach dem Modell für das Gemälde handeln. Es gibt auch eine weitere Zeichnung gleichen Formats in einer Privatsammlung in Florenz, auf der Guercino die Bildidee des Heiligen mit erhobenen Armen und dem Trompete spielenden Engel ausprobiert, während eine Zeichnung in der Courtauld Gallery in London (Inv.-Nr. D.1952.RW.3486.1) – mit einer Zuschreibung an Donato Creti, die man jedoch vermutlich zugunsten des emilianischen Meisters revidieren sollte – ebenfalls mit der vorliegenden Komposition in Verbindung gebracht werden kann. Dort hat der Künstler einen Felsen oder eine verfallene Mauer zwischen dem Körper des Heiligen und der Landschaft eingefügt, um einen dunklen Hintergrund zu erhalten, vor dem sich die vom Licht erfasste Form der Figur abheben kann.

Von allen Künstlern hat Guercino den heiligen Hieronymus am häufigsten als Bildthema gewählt, wovon zahlreiche mit unterschiedlichen Modellen arbeitende und unterschiedliche Stimmungen vermittelnde Gemälde, Altarbilder und Zeichnungen zeugen. Sie sprechen für den Tiefgang und die Intensität der Beschäftigung des Künstlers mit diesem Thema. Die Komposition der Vision des heiligen Hieronymus reiht sich unter Guercinos gelungenste Bildlösungen und war möglicherweise die beliebteste unter seinen kleinformatigen Gemälden, die vom Künstler selbst, von seinen Gehilfen und später auch von seinen Kopisten wiederholt wurde. Vom vorliegenden Sujet kennt man über fünfzehn Fassungen, die Mehrzahl davon Kopien, alle von etwa derselben Größe. Neben dem vorliegenden eigenhändigen Gemälde scheint auch eine weitere auf Leinwand gemalte Version (44,5 x 50,5 cm) in einer Privatsammlung von der Hand Guercinos zu stammen (Turner 2017, S. 219, Abb. 178). Letztere, die der Version des Louvre näher steht als dem hier besprochenen bozzetto, zeigt weniger Korrekturen in der Unterzeichnung: Es liegt daher nahe, dass sie auf die beiden früheren Fassungen folgte, wo es Unterschiede hinsichtlich der Größenverhältnisse des Engels und des offenen Buches gibt.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2020 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 04.11. - 10.11.2020


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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