Lot Nr. 71 -


Peter Paul Rubens und Werkstatt


Peter Paul Rubens und Werkstatt - Alte Meister I

(Siegen 1577–1640 Antwerpen)
Heilige Familie mit heiliger Anna, Johannesknaben und der Taube,
Öl auf Holz, 66 x 51 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Frankreich, bis 2005;
Privatsammlung, Großbritannien, 2005–2014;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Ausgestellt:
Caserta, Da Artemisia a Hackert, 16. September 2019 – 16. Jänner 2020, S. 54f., Nr. 25

Das vorliegende Tafelbild zeigt eine Heilige Familie mit den Heiligen Anna und Johannes und einer Taube. Es war Ludwig Burchard, der den Grundstein für das Corpus Rubenianum Ludwig Burchard legte, unbekannt. Lange Zeit blieb das Bild in Privatsammlungen verborgen. Es wird um 1609/1610 datiert. Neuere Forschungen haben die Autorenschaft Rubens’ unter Mithilfe seiner Werkstatt bestätigt und das Bild als eine bedeutende Ergänzung zum bereits bekannten Oeuvre des Künstlers anerkannt. Zwei weitere Versionen der Komposition sind bekannt; eine befindet sich im Los Angeles County Museum of Art (Öl auf Holz, 138,43 x 120,65 cm), die andere im Metropolitan Museum in New York (Öl auf Holz, 66 x 51,4 cm). Beide Fassungen werden in den betreffenden Museen Rubens zugeschrieben.

Eine ältere Frau steht rechts hinter Maria und beugt sich über ihre Schulter. Das Gesicht der Jungfrau verrät Rubens’ Vertrautheit mit dem Schaffen Correggios (1489–1584). Die alte Frau wurde in den beiden anderen Versionen, die offenbar gleichzeitig mit der vorliegenden Tafel ausgeführt wurden, mit der heiligen Elisabeth, der Mutter des heiligen Johannes, identifiziert. Umgekehrt sieht Fiona Healy, die Autorin des in Vorbereitung befindlichen Bandes über Madonnen und die Heilige Familie im Corpus Rubenianum, in der betreffenden Figur die Mutter der Heiligen Jungfrau, die heilige Anna. Dafür sprechen das fortgeschrittene Alter der Figur, welches in der von Rubens dargestellten runzeligen Haut und den fehlenden Zähnen zum Ausdruck kommt, sowie ihre Positionierung hinter ihrer Tochter und ihrem Enkel. Die virtuose Hervorhebung des einzigen Zahnes der heiligen Anna, die zarte Anspielung auf das dünne, ergrauende schwarze Haar unter dem Schleier und dessen mit Impasto gehöhte Falten sind charakteristisch für Rubens.

Die flatternde Taube in der Hand des Jesusknaben, an deren Federn Johannes zupft, wird von Nils Büttner als das Opfertier der Juden (Leviticus 15:14) und daher als Präfiguration des Leidens Christi am Kreuz angesehen. Im Vergleich zu den Versionen im Metropolitan Museum und im LACMA tritt in der Taube der vorliegenden Fassung eine für Rubens charakteristische größere Verspieltheit und Unmittelbarkeit zutage, die auch dem verstörten Ausdruck geschuldet ist, den der Vogel aufsetzt, als seine zerzausten, mit kräftigen Pinselstrichen gemalten Federn von den beiden Knaben gerupft werden. Links blickt Josef liebevoll auf die Szene herab; die schwarzen Pinselstriche, mit denen sein lockiges Haar dargestellt ist, sind auch bei Samson in Rubens’ Gemälde Samson und Delila (siehe Abb. 2) in der National Gallery in London zu beobachten, welches wie die vorliegende Tafel um 1610 datiert.

Laut Walter Liedtke spricht die leichte Veränderung der Position des linken Fußes des heiligen Johannes in der Version des Metropolitan Museum für Rubens’ Autorenschaft. Dies ist jedoch nur ein minimales Pentiment im Vergleich zu der bedeutenden und zentralen Veränderung, die Rubens hinsichtlich der Komposition der vorliegenden Tafel und der Figur des Johannesknaben vorgenommen hat. Im vorliegenden Werk hat Rubens das rechte Knie und die Wade, unter die eine der Taubenfedern gefallen ist, hinzugefügt, um die Körperhaltung und das Gleichgewicht des Kindes nachvollziehbar zu machen. Das rote Gewand der Jungfrau leuchtet durch, wo das Bein des Johannesknaben ergänzt – aber von Rubens nicht völlig ausgearbeitet – wurde, damit dieser sich entsprechend abstützen kann. Obwohl es für die Ausführung leichter gewesen wäre, das Bein des Johannesknaben am Knie enden zu lassen, veranschaulichen zeitgenössische anatomische Studien Rubens’ wie beispielsweise die eines Hockenden Mannes in Rückenansicht (schwarze Kreide, grau und schwarz laviert, auf Papier, 46,5 x 32 cm, Privatsammlung) die Bedeutung, die der Künstler damals der Darstellung einer überzeugenden Muskelspannung beigemessen hat. Der Umstand, dass die in Los Angeles und im Metropolitan Museum befindlichen Tafeln dieser Verbesserung ohne Pentimente folgen, lässt annehmen, dass die vorliegende Tafel die erste Fassung der Komposition war.

Trotz der puren Lebendigkeit in den Bewegungen und der strahlenden Pausbäckigkeit der beiden Kinder ist das Werk durch das Zupfen an den Federn der Taube mit einer schmerzlichen Vorahnung der bevorstehenden Leidensgeschichte Christi durchdrungen. Anders als Josef und die heilige Anna, die wahrscheinlich auf früheren, nach dem Leben ausgeführten Studienköpfen beruhen, wie dies zuletzt Nico van Hout (Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, Study Heads, Teil XX, 2, Nr. 8, Abb. 25, Turnhout 2021) vorgeschlagen hat, erinnern die leicht karikierenden Gesichter, die gewundenen Körper und die hochgestreckten Arme der beiden Kinder in Verbindung mit dem um die Leibesmitte des Johannesknaben geschlungenen Tuch an frühere Studien, die Rubens nach der Antike in Rom gemacht hat.

Das zusammengedrückte Kinderpolster unter den Füßen der Knaben, die lebendigen Höhungen des Inkarnats und Elemente der Gesamtkomposition bezog Rubens offenbar aus einem Meisterwerk der Sammlung seines großen italienischen Auftraggebers Vincenzo I. Gonzaga (1562–1612), Herzog von Mantua, nämlich Raffaels Werk La Perla (siehe Abb. 1), das sich heute im Prado in Madrid befindet. Die Modellierung des Haares der Kinder mit starken Lichtern und die etwas ungewöhnliche Art, wie die offenen Locken den Köpfen angefügt sind, lassen die Modernität Rubens’ gegenüber seinen Antwerpener Zeitgenossen erkennen. Er war noch nicht lange aus Italien zurückgekehrt. Das Haar der Kinderköpfe lässt sich mit dem der Putten im oberen Teil von Rubens’ Altarbild Die Heiligen Domitilla, Nereus und Achilleus aus dem Jahr 1608 vergleichen. Es befindet sich immer noch in der Kirche Santa Maria in Vallicella in Rom, für die es in Auftrag gegeben wurde.

Wir danken Fiona Healy und Nils Buettner vom Centrum Rubenianum, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes an Peter Paul Rubens unter Beteiligung der Werkstatt in mehreren Bereichen der Tafel nach Prüfung des Werks im Original bestätigt haben.

 

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

10.11.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 548.218,-
Schätzwert:
EUR 350.000,- bis EUR 500.000,-

Peter Paul Rubens und Werkstatt


(Siegen 1577–1640 Antwerpen)
Heilige Familie mit heiliger Anna, Johannesknaben und der Taube,
Öl auf Holz, 66 x 51 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Frankreich, bis 2005;
Privatsammlung, Großbritannien, 2005–2014;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Ausgestellt:
Caserta, Da Artemisia a Hackert, 16. September 2019 – 16. Jänner 2020, S. 54f., Nr. 25

Das vorliegende Tafelbild zeigt eine Heilige Familie mit den Heiligen Anna und Johannes und einer Taube. Es war Ludwig Burchard, der den Grundstein für das Corpus Rubenianum Ludwig Burchard legte, unbekannt. Lange Zeit blieb das Bild in Privatsammlungen verborgen. Es wird um 1609/1610 datiert. Neuere Forschungen haben die Autorenschaft Rubens’ unter Mithilfe seiner Werkstatt bestätigt und das Bild als eine bedeutende Ergänzung zum bereits bekannten Oeuvre des Künstlers anerkannt. Zwei weitere Versionen der Komposition sind bekannt; eine befindet sich im Los Angeles County Museum of Art (Öl auf Holz, 138,43 x 120,65 cm), die andere im Metropolitan Museum in New York (Öl auf Holz, 66 x 51,4 cm). Beide Fassungen werden in den betreffenden Museen Rubens zugeschrieben.

Eine ältere Frau steht rechts hinter Maria und beugt sich über ihre Schulter. Das Gesicht der Jungfrau verrät Rubens’ Vertrautheit mit dem Schaffen Correggios (1489–1584). Die alte Frau wurde in den beiden anderen Versionen, die offenbar gleichzeitig mit der vorliegenden Tafel ausgeführt wurden, mit der heiligen Elisabeth, der Mutter des heiligen Johannes, identifiziert. Umgekehrt sieht Fiona Healy, die Autorin des in Vorbereitung befindlichen Bandes über Madonnen und die Heilige Familie im Corpus Rubenianum, in der betreffenden Figur die Mutter der Heiligen Jungfrau, die heilige Anna. Dafür sprechen das fortgeschrittene Alter der Figur, welches in der von Rubens dargestellten runzeligen Haut und den fehlenden Zähnen zum Ausdruck kommt, sowie ihre Positionierung hinter ihrer Tochter und ihrem Enkel. Die virtuose Hervorhebung des einzigen Zahnes der heiligen Anna, die zarte Anspielung auf das dünne, ergrauende schwarze Haar unter dem Schleier und dessen mit Impasto gehöhte Falten sind charakteristisch für Rubens.

Die flatternde Taube in der Hand des Jesusknaben, an deren Federn Johannes zupft, wird von Nils Büttner als das Opfertier der Juden (Leviticus 15:14) und daher als Präfiguration des Leidens Christi am Kreuz angesehen. Im Vergleich zu den Versionen im Metropolitan Museum und im LACMA tritt in der Taube der vorliegenden Fassung eine für Rubens charakteristische größere Verspieltheit und Unmittelbarkeit zutage, die auch dem verstörten Ausdruck geschuldet ist, den der Vogel aufsetzt, als seine zerzausten, mit kräftigen Pinselstrichen gemalten Federn von den beiden Knaben gerupft werden. Links blickt Josef liebevoll auf die Szene herab; die schwarzen Pinselstriche, mit denen sein lockiges Haar dargestellt ist, sind auch bei Samson in Rubens’ Gemälde Samson und Delila (siehe Abb. 2) in der National Gallery in London zu beobachten, welches wie die vorliegende Tafel um 1610 datiert.

Laut Walter Liedtke spricht die leichte Veränderung der Position des linken Fußes des heiligen Johannes in der Version des Metropolitan Museum für Rubens’ Autorenschaft. Dies ist jedoch nur ein minimales Pentiment im Vergleich zu der bedeutenden und zentralen Veränderung, die Rubens hinsichtlich der Komposition der vorliegenden Tafel und der Figur des Johannesknaben vorgenommen hat. Im vorliegenden Werk hat Rubens das rechte Knie und die Wade, unter die eine der Taubenfedern gefallen ist, hinzugefügt, um die Körperhaltung und das Gleichgewicht des Kindes nachvollziehbar zu machen. Das rote Gewand der Jungfrau leuchtet durch, wo das Bein des Johannesknaben ergänzt – aber von Rubens nicht völlig ausgearbeitet – wurde, damit dieser sich entsprechend abstützen kann. Obwohl es für die Ausführung leichter gewesen wäre, das Bein des Johannesknaben am Knie enden zu lassen, veranschaulichen zeitgenössische anatomische Studien Rubens’ wie beispielsweise die eines Hockenden Mannes in Rückenansicht (schwarze Kreide, grau und schwarz laviert, auf Papier, 46,5 x 32 cm, Privatsammlung) die Bedeutung, die der Künstler damals der Darstellung einer überzeugenden Muskelspannung beigemessen hat. Der Umstand, dass die in Los Angeles und im Metropolitan Museum befindlichen Tafeln dieser Verbesserung ohne Pentimente folgen, lässt annehmen, dass die vorliegende Tafel die erste Fassung der Komposition war.

Trotz der puren Lebendigkeit in den Bewegungen und der strahlenden Pausbäckigkeit der beiden Kinder ist das Werk durch das Zupfen an den Federn der Taube mit einer schmerzlichen Vorahnung der bevorstehenden Leidensgeschichte Christi durchdrungen. Anders als Josef und die heilige Anna, die wahrscheinlich auf früheren, nach dem Leben ausgeführten Studienköpfen beruhen, wie dies zuletzt Nico van Hout (Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, Study Heads, Teil XX, 2, Nr. 8, Abb. 25, Turnhout 2021) vorgeschlagen hat, erinnern die leicht karikierenden Gesichter, die gewundenen Körper und die hochgestreckten Arme der beiden Kinder in Verbindung mit dem um die Leibesmitte des Johannesknaben geschlungenen Tuch an frühere Studien, die Rubens nach der Antike in Rom gemacht hat.

Das zusammengedrückte Kinderpolster unter den Füßen der Knaben, die lebendigen Höhungen des Inkarnats und Elemente der Gesamtkomposition bezog Rubens offenbar aus einem Meisterwerk der Sammlung seines großen italienischen Auftraggebers Vincenzo I. Gonzaga (1562–1612), Herzog von Mantua, nämlich Raffaels Werk La Perla (siehe Abb. 1), das sich heute im Prado in Madrid befindet. Die Modellierung des Haares der Kinder mit starken Lichtern und die etwas ungewöhnliche Art, wie die offenen Locken den Köpfen angefügt sind, lassen die Modernität Rubens’ gegenüber seinen Antwerpener Zeitgenossen erkennen. Er war noch nicht lange aus Italien zurückgekehrt. Das Haar der Kinderköpfe lässt sich mit dem der Putten im oberen Teil von Rubens’ Altarbild Die Heiligen Domitilla, Nereus und Achilleus aus dem Jahr 1608 vergleichen. Es befindet sich immer noch in der Kirche Santa Maria in Vallicella in Rom, für die es in Auftrag gegeben wurde.

Wir danken Fiona Healy und Nils Buettner vom Centrum Rubenianum, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes an Peter Paul Rubens unter Beteiligung der Werkstatt in mehreren Bereichen der Tafel nach Prüfung des Werks im Original bestätigt haben.

 

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.10. - 10.11.2021


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