Lot Nr. 14


Giovanni Bellini und Gehilfe


Giovanni Bellini und Gehilfe - Alte Meister I

(Venedig oder Padua um 1430–1516 Venedig)
Madonna mit Kind,
Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 79,5 x 59,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Achillito Chiesa (1881–1951), bis 1927;
vermutlich dessen Auktion, New York, 1927;
Sammlung Conte Alessandro Contini Bonacossi (1878–1955), Rom, in den 1930er-Jahren überstellt in die Villa Vittoria, Florenz;
europäische Privatsammlung

Literatur:
G. Gronau, Giovanni Bellini. Des Meisters Gemälde in 207 Abbildungen, Stuttgart/Berlin 1930, Erwähnung S. 205, Anm. 76 (als „ein zweites gleichwertiges Exemplar“; fälschlicherweise identifiziert als die Kopie im Santuario Madonna delle Grazie in Piove di Sacco);
L. Dussler, Giovanni Bellini, Frankfurt am Main 1935, S. 152, Nr. 594a (als „Wiederholung mit veränderter Landschaft“);
S. Moschini Marconi, Gallerie dell’Accademia di Venezia. Opere d’arte dei secoli XIV e XV, Rom 1955, S. 69, Erwähnung unter Nr. 69 (als „un’altra [variante]“ [„andere Fassung“]);
B. Berenson, Italian Pictures of the Renaissance. A List of the Principal Artists and Their Works with an Index of Places. Venetian School, Bd. I, London 1957, S. 31 (als zum Teil eigenhändig);
F. Heinemann, Giovanni Bellini e i belliniani, Venedig 1962, S. 6, Erwähnung unter Nr. 23 (als „copia di bottega“ [„Werkstattkopie“]);
L. Puppi, Bottega di Giovanni Bellini, in: Dopo Mantegna. Arte a Padova e nel territorio nei secoli XV e XVI, Ausstellungskatalog, Venedig 1976, S. 50, Erwähnung unter Nr. 26 (als Replik von Giovanni Bellini);
M. Tamassia, Collezioni d’arte tra Ottocento e Novecento. Jacquier fotografi a Firenze 1870–1935, Neapel 1995, S. 175, Erwähnung unter Nr. 50593, S. 176, Abb. 50593 (abgebildet ist das Gemälde in der Villa Vittoria, Florenz);
F. Zaninelli, Alessandro Contini Bonacossi, Antiquario (1878–1955). The Art Market and Cultural Philanthropy in the Formation of American Museums, Diss., Edinburgh 2018, S. 200, 332, Abb. 82 (als Giovanni Bellini, abgebildet ist das Gemälde in der Villa Vittoria, Florenz);
M. Lucco, P. Humfrey, G. C. F. Villa, Giovanni Bellini. Catalogo ragionato, hrsg. von M. Lucco, Treviso 2019, S. 412, Erwähnung unter Nr. 68, S. 413 f., Nr. 69 (als „Giovanni Bellini e aiuto“ [„Giovanni Bellini und Gehilfe“]);
A. Tempestini, Giovanni Bellini e i pittori belliniani, Florenz 2021, S. 91, Nr. 35a (als „Giovanni Bellini e bottega“ [„Giovanni Bellini und Werkstatt“])

Das vorliegende Gemälde, obschon abgewandelt, nimmt Bezug auf Giovanni Bellinis Madonna Contarini in der Galleria dell’Accademia in Venedig (Inv.-Nr. 594). Der Hauptunterschied in der Komposition zwischen den beiden Gemälden betrifft den Landschaftshintergrund, der im vorliegenden Beispiel eine atmosphärische Leichtigkeit und Tiefe verrät und die Landschaft in Giovanni Bellinis Madonna im Nelson-Atkins Museum of Art in Kansas City (Inv.-Nr. F61-66), welche als zur Gänze eigenhändiges Werk gilt, vorwegzunehmen scheint.

Das vorliegende Gemälde hat eine prestigeträchtige jüngere Provenienz aufzuweisen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte es dem argentinischen Sammler Achillito Chiesa, von wo aus es in die Sammlung Alessandro Contini Bonacossis, eines der wichtigsten Kunsthändler und -sammler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gelangte. Die frühe Geschichte des Gemäldes lässt sich jedoch nur schwer rekonstruieren, zumal es in der Vergangenheit mit einer Kopie im Santuario Madonna delle Grazie in Piove di Sacco verwechselt wurde. Gronau (siehe Literatur) glaubte, dass es sich bei den beiden Gemälden um ein und dasselbe Werk handelte und vermutete fälschlicherweise, dass das Gemälde aus der Kirche entfernt und von dort direkt in die Sammlung Contini Bonacossi überstellt wurde.

Berenson war der Auffassung, dass es sich bei der vorliegenden Muttergottes mit Kind um ein zum Teil eigenhändiges Werk Bellinis handelt. Einige Jahre später wurde es von Heinemann als Werkstattkopie eingeschätzt. Dieser könnte es jedoch mit einer weiteren Fassung verwechselt haben, zumal er eine Provenienz in der Sammlung Meazza in Mailand anführt, obwohl dies in den einschlägigen Auktionskatalogen der Sammlung keine Bestätigung findet. Dussler, Moschini Marconi und Puppi hielten das Bild für eine Werkstattreplik, wobei es jedoch in allen Fällen hinsichtlich Maßen und Provenienz fehlerhaft beschrieben wurde. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass es unmöglich war, das Gemälde im Original zu studieren, oder dass es eine alte Übermalung gab.

Nach seiner technischen Untersuchung (siehe den Bericht von Gianluca Poldi unten) und Restaurierung wurde das Gemälde im Werkverzeichnis von Mauro Lucco, Peter Humfrey und Giovanni C. F. Villa als Werk Bellinis und eines Gehilfen identifiziert; diese Meinung wurde unabhängig davon von Tempestini bestätigt (siehe Literatur).

Giovanni Bellini gehört zu den bedeutenden Malern der venezianischen Renaissance. Als Sohn Jacopo Bellinis wurde er neben seinem Bruder Gentile Bellini in der Werkstatt des Vaters ausgebildet. Seine Tätigkeit ist ab den 1450er-Jahren dokumentiert. Seine prägenden Jahre standen auch unter dem Einfluss seiner engen Verbindung zu Andrea Mantegna, der sein Schwager wurde. Der wechselseitige Einfluss der beiden großen Maler zeigt sich in der jeweiligen Umsetzung des Bildthemas Christus am Ölberg, die beide in der National Gallery in London aufbewahrt werden, beide in die zweite Hälfte der 1450er-Jahre zu datieren sind und zahlreiche Berührungspunkte zwischen Giovanni Bellini und Mantegna offenlegen.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

Diagnostische Untersuchungen, denen das vorliegende Gemälde unterzogen wurde, haben ergeben, dass die vorbereitende Unterzeichnung vermutlich mit demselben Karton ausgeführt wurde, der auch für die Madonna Contarini zum Einsatz kam, wobei das Pausrad beziehungsweise die als spolvero bezeichnete Technik für die Übertragung des Entwurfs auf die Tafel verwendet wurde.

Nach dem ersten Schritt der Übertragung, der möglicherweise von einem Gehilfen ausgeführt wurde, schaltete sich Bellini ein, um den Entwurf zu vollenden und zu perfektionieren. Dabei bediente er sich der für seine Zeichentechnik typischen Parallelschraffuren.

Die direkte Intervention des Meisters erschließt sich bei dem vorliegenden Gemälde auch aus mehreren Details der Maloberfläche, ebenso aus der Verwendung von kostbarem natürlichem Ultramarin (gewonnen aus Lapislazuli) in ungemischter Form für den Umhang der Gottesmutter und im Bereich des Himmels. Denn es war weit üblicher, eine dünne Schicht Lapislazuli über einem Grund aus weniger kostspieligem Azurit aufzutragen. Dieses Detail bestätigt, dass das Gemälde für einen hochrangigen Auftraggeber gedacht war und dass Bellini das Werk möglicherweise für Experimente mit bestimmten neuen Techniken verwendete .

Das vorliegende Gemälde wurde vor einigen Jahren von einer Holztafel auf Leinwand übertragen, was die Untersuchung mit multispektraler Bildgebung erkennen lässt. Die Tafel mit vertikal verlaufender Maserung bestand vermutlich aus einem einzelnen Brett, jedenfalls liefern die Infrarotaufnahmen keinerlei Hinweis auf durch etwaige Verbindungen hervorgerufene Spalten. Ähnlich verhält es sich bei der sorgfältig untersuchten Madonna Contarini (Galleria dell’Accademia, Venedig), die unserem Bild ikonografisch gleicht, deren Landschaft jedoch eine andere ist (siehe Il colore ritrovato. Bellini a Venezia, hrsg. von R. Goffen und G. Nepi Scirè, Mailand 2000).

In unterschiedlichen IR-Banden durchgeführte IRR-Aufnahmen zeigen bis auf eine Ausnahme keine kompositorischen Veränderung: Die äußere Verlaufskante des linken Beins des Kindes (vom Betrachter aus rechts gesehen) unterscheidet sich unterhalb des Knies geringfügig gegenüber der Contarini-Fassung. Es handelt sich jedoch um einen Bereich, der einer Restaurierung unterzogen wurde. Andererseits scheint das Vorhandensein kleiner Bildkorrekturen bei der Madonna Contarini – etwa im Bereich der rechten Schulter des Kindes (die ursprünglich etwas höher war) und der linken Schulter der Mutter (die um die Falte des Umhangs darüber verbreitert wurde) – zu bestätigen, dass sie wie kürzlich erwogen dem vorliegenden Gemälde voranging (siehe M. Lucco, P. Humfrey, G. C. F. Villa, Giovanni Bellini. Catalogo ragionato, Treviso 2019, S. 413 f.).

Bringt man die Aufnahmen beider Fassungen zur Deckung, zeigen sich einige Unterschiede in den Figuren. Zwei der wichtigsten Abweichungen betreffen den Blick der Madonna und die Schultern des Kindes. In der Contarini-Fassung blicken Gottesmutter wie Kind dem Betrachter entgegen, während die Madonna auf dem vorliegenden Gemälde nach links ins Leere schaut. Die Schultern des Christusknaben sind etwas höher und breiter, ähnlich wie in der mit dem Contarini-Gemälde vorbereiteten ersten Fassung. Es liegt nahe, dass beide Fassungen auf demselben Karton bzw. auf derselben gezeichneten Figurenstudie beruhen und sodann in der jeweiligen bildnerischen Phase angepasst wurden.

Der interessanteste technische Aspekt, der sich aus den am Gemälde durchgeführten IR-reflektografischen Untersuchungen ergibt, betrifft das Vorhandensein einer darunterliegenden Pinsel- und Federzeichnung, die nicht nur die Umrisse, sondern auch die Schraffuren festlegt, was im Fall des Contarini-Gemäldes nicht festgestellt worden zu sein scheint. Die Unterzeichnung der Umrisse ist deutlicher sichtbar, vermutlich aufgrund der Verwendung einer konzentrierten schwarzen Tinte, was den Schluss zulässt, dass die Schraffuren mit einer anderen Tinte in einem zweiten Schritt ausgeführt wurden. Möglicherweise wurde die Zeichnung vom Karton mittels Kopierrädchen übertragen, doch wurden die Spuren dann weggepinselt, wie es über einen langen Zeitraum hinweg der Praxis des Malers entsprach. Die mit dem Pinsel aufgebrachte feine Umrisszeichnung lässt sich in Bellinis Schaffen als typisches Merkmal seiner Werke identifizieren.

Ganz und gar charakteristisch für Giovanni Bellinis Arbeitsweise sind die akkuraten und regelmäßigen Diagonalschraffuren unterhalb der Hauttöne, die zwecks Steigerung der finalen Bildwirkung die Position der Schatten festlegen und dem Studium der Lichteffekte auf dem Inkarnat der Figuren dienen (siehe G. Poldi und G. C. F. Villa, Indagando Bellini, Mailand 2009).

Die technische Untersuchung belegt die in ikonografischer Hinsicht stattfindende fortwährende Weiterentwicklung von Giovanni Bellinis Werken im Vergleich des vorliegenden Gemäldes zur Madonna Contarini. Landschaft und Himmel sind anders gestaltet, was in den Wolken über den Bergen und in der kälteren, verstärkt metallischen Farbgebung zur Geltung kommt. Der modifizierte Ausdruck Christi verdankt sich einem runderen Profil und einer anderen Licht- und Schattenführung.

Pigmente:
Die durch nicht invasive spektroskopische Untersuchungen und Digitalmikroskopie ermittelten originalen Pigmente umfassen fein vermahlenes natürliches Ultramarin, das als einziger Blauton im Himmel und beim Umhang der Gottesmutter zum Einsatz kam, während Azurit, vermischt mit grob geriebenem Malachit sowie etwas Bleiweiß, Ocker und brauner Erde, im Bereich der Berge zum Horizont hin Verwendung fand.

Bleizinngelb kam als Goldersatz bei den durchbrochenen Verzierungen des roten Kleides und an den vom Licht erfassten Rändern des Umhangs im Bereich des Hauptes zum Einsatz, wo er als Schleier dient. Dasselbe Gelb findet sich vermischt mit Grünspan in den Wiesen des Hintergrunds. Um die Farben der Bäume zu variieren, mischte beziehungsweise lasierte der Maler Grünspan abwechselnd mit Malachit und Azurit.

Die kleinen Gebäude im rechten Hintergrund bestehen aus hingetupftem Bleiweiß, vermischt mit etwas Azurit zur atmosphärischen Integration oder mit Zinnober zwecks Wiedergabe der Dächer.

Die übliche Mischung aus Bleiweiß mit fein vermahlenem Zinnober unter geringer Beimengung von braunem Ocker bildet das Inkarnat. Aufgetragen wurde sie über einer Grundierung in Bleiweiß über weißem Kreidegrund. Rotlack fand für die Lippen und natürlich auch für das Kleid der Gottesmutter Verwendung, dessen unterste Schicht auch hellen Zinnober enthält.

Maltechnik und Pigmente entsprechen der Arbeitsweise Giovanni Bellinis.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

09.11.2022 - 17:00

Erzielter Preis: **
EUR 1.402.500,-
Schätzwert:
EUR 250.000,- bis EUR 350.000,-

Giovanni Bellini und Gehilfe


(Venedig oder Padua um 1430–1516 Venedig)
Madonna mit Kind,
Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 79,5 x 59,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Achillito Chiesa (1881–1951), bis 1927;
vermutlich dessen Auktion, New York, 1927;
Sammlung Conte Alessandro Contini Bonacossi (1878–1955), Rom, in den 1930er-Jahren überstellt in die Villa Vittoria, Florenz;
europäische Privatsammlung

Literatur:
G. Gronau, Giovanni Bellini. Des Meisters Gemälde in 207 Abbildungen, Stuttgart/Berlin 1930, Erwähnung S. 205, Anm. 76 (als „ein zweites gleichwertiges Exemplar“; fälschlicherweise identifiziert als die Kopie im Santuario Madonna delle Grazie in Piove di Sacco);
L. Dussler, Giovanni Bellini, Frankfurt am Main 1935, S. 152, Nr. 594a (als „Wiederholung mit veränderter Landschaft“);
S. Moschini Marconi, Gallerie dell’Accademia di Venezia. Opere d’arte dei secoli XIV e XV, Rom 1955, S. 69, Erwähnung unter Nr. 69 (als „un’altra [variante]“ [„andere Fassung“]);
B. Berenson, Italian Pictures of the Renaissance. A List of the Principal Artists and Their Works with an Index of Places. Venetian School, Bd. I, London 1957, S. 31 (als zum Teil eigenhändig);
F. Heinemann, Giovanni Bellini e i belliniani, Venedig 1962, S. 6, Erwähnung unter Nr. 23 (als „copia di bottega“ [„Werkstattkopie“]);
L. Puppi, Bottega di Giovanni Bellini, in: Dopo Mantegna. Arte a Padova e nel territorio nei secoli XV e XVI, Ausstellungskatalog, Venedig 1976, S. 50, Erwähnung unter Nr. 26 (als Replik von Giovanni Bellini);
M. Tamassia, Collezioni d’arte tra Ottocento e Novecento. Jacquier fotografi a Firenze 1870–1935, Neapel 1995, S. 175, Erwähnung unter Nr. 50593, S. 176, Abb. 50593 (abgebildet ist das Gemälde in der Villa Vittoria, Florenz);
F. Zaninelli, Alessandro Contini Bonacossi, Antiquario (1878–1955). The Art Market and Cultural Philanthropy in the Formation of American Museums, Diss., Edinburgh 2018, S. 200, 332, Abb. 82 (als Giovanni Bellini, abgebildet ist das Gemälde in der Villa Vittoria, Florenz);
M. Lucco, P. Humfrey, G. C. F. Villa, Giovanni Bellini. Catalogo ragionato, hrsg. von M. Lucco, Treviso 2019, S. 412, Erwähnung unter Nr. 68, S. 413 f., Nr. 69 (als „Giovanni Bellini e aiuto“ [„Giovanni Bellini und Gehilfe“]);
A. Tempestini, Giovanni Bellini e i pittori belliniani, Florenz 2021, S. 91, Nr. 35a (als „Giovanni Bellini e bottega“ [„Giovanni Bellini und Werkstatt“])

Das vorliegende Gemälde, obschon abgewandelt, nimmt Bezug auf Giovanni Bellinis Madonna Contarini in der Galleria dell’Accademia in Venedig (Inv.-Nr. 594). Der Hauptunterschied in der Komposition zwischen den beiden Gemälden betrifft den Landschaftshintergrund, der im vorliegenden Beispiel eine atmosphärische Leichtigkeit und Tiefe verrät und die Landschaft in Giovanni Bellinis Madonna im Nelson-Atkins Museum of Art in Kansas City (Inv.-Nr. F61-66), welche als zur Gänze eigenhändiges Werk gilt, vorwegzunehmen scheint.

Das vorliegende Gemälde hat eine prestigeträchtige jüngere Provenienz aufzuweisen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte es dem argentinischen Sammler Achillito Chiesa, von wo aus es in die Sammlung Alessandro Contini Bonacossis, eines der wichtigsten Kunsthändler und -sammler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gelangte. Die frühe Geschichte des Gemäldes lässt sich jedoch nur schwer rekonstruieren, zumal es in der Vergangenheit mit einer Kopie im Santuario Madonna delle Grazie in Piove di Sacco verwechselt wurde. Gronau (siehe Literatur) glaubte, dass es sich bei den beiden Gemälden um ein und dasselbe Werk handelte und vermutete fälschlicherweise, dass das Gemälde aus der Kirche entfernt und von dort direkt in die Sammlung Contini Bonacossi überstellt wurde.

Berenson war der Auffassung, dass es sich bei der vorliegenden Muttergottes mit Kind um ein zum Teil eigenhändiges Werk Bellinis handelt. Einige Jahre später wurde es von Heinemann als Werkstattkopie eingeschätzt. Dieser könnte es jedoch mit einer weiteren Fassung verwechselt haben, zumal er eine Provenienz in der Sammlung Meazza in Mailand anführt, obwohl dies in den einschlägigen Auktionskatalogen der Sammlung keine Bestätigung findet. Dussler, Moschini Marconi und Puppi hielten das Bild für eine Werkstattreplik, wobei es jedoch in allen Fällen hinsichtlich Maßen und Provenienz fehlerhaft beschrieben wurde. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass es unmöglich war, das Gemälde im Original zu studieren, oder dass es eine alte Übermalung gab.

Nach seiner technischen Untersuchung (siehe den Bericht von Gianluca Poldi unten) und Restaurierung wurde das Gemälde im Werkverzeichnis von Mauro Lucco, Peter Humfrey und Giovanni C. F. Villa als Werk Bellinis und eines Gehilfen identifiziert; diese Meinung wurde unabhängig davon von Tempestini bestätigt (siehe Literatur).

Giovanni Bellini gehört zu den bedeutenden Malern der venezianischen Renaissance. Als Sohn Jacopo Bellinis wurde er neben seinem Bruder Gentile Bellini in der Werkstatt des Vaters ausgebildet. Seine Tätigkeit ist ab den 1450er-Jahren dokumentiert. Seine prägenden Jahre standen auch unter dem Einfluss seiner engen Verbindung zu Andrea Mantegna, der sein Schwager wurde. Der wechselseitige Einfluss der beiden großen Maler zeigt sich in der jeweiligen Umsetzung des Bildthemas Christus am Ölberg, die beide in der National Gallery in London aufbewahrt werden, beide in die zweite Hälfte der 1450er-Jahre zu datieren sind und zahlreiche Berührungspunkte zwischen Giovanni Bellini und Mantegna offenlegen.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

Diagnostische Untersuchungen, denen das vorliegende Gemälde unterzogen wurde, haben ergeben, dass die vorbereitende Unterzeichnung vermutlich mit demselben Karton ausgeführt wurde, der auch für die Madonna Contarini zum Einsatz kam, wobei das Pausrad beziehungsweise die als spolvero bezeichnete Technik für die Übertragung des Entwurfs auf die Tafel verwendet wurde.

Nach dem ersten Schritt der Übertragung, der möglicherweise von einem Gehilfen ausgeführt wurde, schaltete sich Bellini ein, um den Entwurf zu vollenden und zu perfektionieren. Dabei bediente er sich der für seine Zeichentechnik typischen Parallelschraffuren.

Die direkte Intervention des Meisters erschließt sich bei dem vorliegenden Gemälde auch aus mehreren Details der Maloberfläche, ebenso aus der Verwendung von kostbarem natürlichem Ultramarin (gewonnen aus Lapislazuli) in ungemischter Form für den Umhang der Gottesmutter und im Bereich des Himmels. Denn es war weit üblicher, eine dünne Schicht Lapislazuli über einem Grund aus weniger kostspieligem Azurit aufzutragen. Dieses Detail bestätigt, dass das Gemälde für einen hochrangigen Auftraggeber gedacht war und dass Bellini das Werk möglicherweise für Experimente mit bestimmten neuen Techniken verwendete .

Das vorliegende Gemälde wurde vor einigen Jahren von einer Holztafel auf Leinwand übertragen, was die Untersuchung mit multispektraler Bildgebung erkennen lässt. Die Tafel mit vertikal verlaufender Maserung bestand vermutlich aus einem einzelnen Brett, jedenfalls liefern die Infrarotaufnahmen keinerlei Hinweis auf durch etwaige Verbindungen hervorgerufene Spalten. Ähnlich verhält es sich bei der sorgfältig untersuchten Madonna Contarini (Galleria dell’Accademia, Venedig), die unserem Bild ikonografisch gleicht, deren Landschaft jedoch eine andere ist (siehe Il colore ritrovato. Bellini a Venezia, hrsg. von R. Goffen und G. Nepi Scirè, Mailand 2000).

In unterschiedlichen IR-Banden durchgeführte IRR-Aufnahmen zeigen bis auf eine Ausnahme keine kompositorischen Veränderung: Die äußere Verlaufskante des linken Beins des Kindes (vom Betrachter aus rechts gesehen) unterscheidet sich unterhalb des Knies geringfügig gegenüber der Contarini-Fassung. Es handelt sich jedoch um einen Bereich, der einer Restaurierung unterzogen wurde. Andererseits scheint das Vorhandensein kleiner Bildkorrekturen bei der Madonna Contarini – etwa im Bereich der rechten Schulter des Kindes (die ursprünglich etwas höher war) und der linken Schulter der Mutter (die um die Falte des Umhangs darüber verbreitert wurde) – zu bestätigen, dass sie wie kürzlich erwogen dem vorliegenden Gemälde voranging (siehe M. Lucco, P. Humfrey, G. C. F. Villa, Giovanni Bellini. Catalogo ragionato, Treviso 2019, S. 413 f.).

Bringt man die Aufnahmen beider Fassungen zur Deckung, zeigen sich einige Unterschiede in den Figuren. Zwei der wichtigsten Abweichungen betreffen den Blick der Madonna und die Schultern des Kindes. In der Contarini-Fassung blicken Gottesmutter wie Kind dem Betrachter entgegen, während die Madonna auf dem vorliegenden Gemälde nach links ins Leere schaut. Die Schultern des Christusknaben sind etwas höher und breiter, ähnlich wie in der mit dem Contarini-Gemälde vorbereiteten ersten Fassung. Es liegt nahe, dass beide Fassungen auf demselben Karton bzw. auf derselben gezeichneten Figurenstudie beruhen und sodann in der jeweiligen bildnerischen Phase angepasst wurden.

Der interessanteste technische Aspekt, der sich aus den am Gemälde durchgeführten IR-reflektografischen Untersuchungen ergibt, betrifft das Vorhandensein einer darunterliegenden Pinsel- und Federzeichnung, die nicht nur die Umrisse, sondern auch die Schraffuren festlegt, was im Fall des Contarini-Gemäldes nicht festgestellt worden zu sein scheint. Die Unterzeichnung der Umrisse ist deutlicher sichtbar, vermutlich aufgrund der Verwendung einer konzentrierten schwarzen Tinte, was den Schluss zulässt, dass die Schraffuren mit einer anderen Tinte in einem zweiten Schritt ausgeführt wurden. Möglicherweise wurde die Zeichnung vom Karton mittels Kopierrädchen übertragen, doch wurden die Spuren dann weggepinselt, wie es über einen langen Zeitraum hinweg der Praxis des Malers entsprach. Die mit dem Pinsel aufgebrachte feine Umrisszeichnung lässt sich in Bellinis Schaffen als typisches Merkmal seiner Werke identifizieren.

Ganz und gar charakteristisch für Giovanni Bellinis Arbeitsweise sind die akkuraten und regelmäßigen Diagonalschraffuren unterhalb der Hauttöne, die zwecks Steigerung der finalen Bildwirkung die Position der Schatten festlegen und dem Studium der Lichteffekte auf dem Inkarnat der Figuren dienen (siehe G. Poldi und G. C. F. Villa, Indagando Bellini, Mailand 2009).

Die technische Untersuchung belegt die in ikonografischer Hinsicht stattfindende fortwährende Weiterentwicklung von Giovanni Bellinis Werken im Vergleich des vorliegenden Gemäldes zur Madonna Contarini. Landschaft und Himmel sind anders gestaltet, was in den Wolken über den Bergen und in der kälteren, verstärkt metallischen Farbgebung zur Geltung kommt. Der modifizierte Ausdruck Christi verdankt sich einem runderen Profil und einer anderen Licht- und Schattenführung.

Pigmente:
Die durch nicht invasive spektroskopische Untersuchungen und Digitalmikroskopie ermittelten originalen Pigmente umfassen fein vermahlenes natürliches Ultramarin, das als einziger Blauton im Himmel und beim Umhang der Gottesmutter zum Einsatz kam, während Azurit, vermischt mit grob geriebenem Malachit sowie etwas Bleiweiß, Ocker und brauner Erde, im Bereich der Berge zum Horizont hin Verwendung fand.

Bleizinngelb kam als Goldersatz bei den durchbrochenen Verzierungen des roten Kleides und an den vom Licht erfassten Rändern des Umhangs im Bereich des Hauptes zum Einsatz, wo er als Schleier dient. Dasselbe Gelb findet sich vermischt mit Grünspan in den Wiesen des Hintergrunds. Um die Farben der Bäume zu variieren, mischte beziehungsweise lasierte der Maler Grünspan abwechselnd mit Malachit und Azurit.

Die kleinen Gebäude im rechten Hintergrund bestehen aus hingetupftem Bleiweiß, vermischt mit etwas Azurit zur atmosphärischen Integration oder mit Zinnober zwecks Wiedergabe der Dächer.

Die übliche Mischung aus Bleiweiß mit fein vermahlenem Zinnober unter geringer Beimengung von braunem Ocker bildet das Inkarnat. Aufgetragen wurde sie über einer Grundierung in Bleiweiß über weißem Kreidegrund. Rotlack fand für die Lippen und natürlich auch für das Kleid der Gottesmutter Verwendung, dessen unterste Schicht auch hellen Zinnober enthält.

Maltechnik und Pigmente entsprechen der Arbeitsweise Giovanni Bellinis.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 09.11.2022 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 22.10. - 09.11.2022


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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