Lot Nr. 119


Altenberg, Peter,


Schriftsteller, 1859 – 1919. E. Manuskript (“Kleiner Führer” durch den Dichter. Von Peter Altenberg), o. O., o. D., 4 S., Hotelpapier (Graben-Hotel), leicht fleckig, unbedeutende Klammerspur.

“Also, wenn man die Türe des Zimmerchens im fünften Stocke aufmacht, muß man einige Augenblicke wie gebannt stehen bleiben, verweilen, und dann erst leise sagen: “Nein, wie lieb Sie es da haben, wie heimlich, wie besonders!” Worauf er Dir in die Rede fällt und sagt: “Es ist ein Nest, mein Nest, ein jeder Vogel hat sein Nest, nur die Menschen sind zu ungeschickt dazu, und lassen sich von einem Architekten für Innen-Kultur ihr Nest bauen für ihr Geld, pfui!” Du darfst also, wenn Du an der Schwelle seines Heimes noch sinnend verweilst, wie ich dir es anrate, niemals sagen: “Ah, Ihr Nest!” Oder: “Ein wirklcihes Nest!” Denn eben dieses Wort wünscht er dir allen Umständen bereits vorwurfsvoll zuzuzischen. Auch darfst du nicht sagen, du habest in Deiner Art auch eigentlich eines. Ich rate dir vielmehr, zu gestehen, auch wenn es nicht wahr ist, dich habe leider, der Architekt X. Y. eingerichtet, freilich, kannst Du zu Deiner Entschuldigung hinzufügen, mit dem Gelde der Shwiegereltern. Du kannst ohne weiters von den hunderten Bildchen und Sächelchen in seinem Kabinette einige als dir besonders sympatisch hervorheben, da er dir bei seinem guten Benehmen sofort sagt: “Gerade diese?! Da sehe ich gleich, daß Sie ein moderner Mensch sind!” An den “Akt-Bildern” darfst du nicht verschämt dich vorüberdrücken, das verträgt er nicht. Schaue ihnen gerade ins Gesicht, sie tuen dir nichts. Biete ihm lieber eine deiner Zigaretten an als eine von den seinen anzunehmen, er hat das lieber. Er wird dich auf seine aparte Fenster-Aussicht aufmerksam machen, altes rotbraunes Dach mit großem weißem Dachfenster. Da kannst du das Wort “Nürnberg” lispeln. Die braunen à jour-Vorhänge mit großen Blättern erinnern dich an “Waldesboden im Herbste”. Die Sliwowitzflasche auf dem Nachtkästchen willst Du nicht gesehen haben. Das Bett, das durchaus, Decke, Polster, etc., mit braunkariertem Stoffe überzogen ist, errege deine Bewunderung. Du darfst jedoch einflechten, ob denn „weiß“ nicht doch gerade besser für ein Bett passe. Denn damit gibst du ihm Gelegenheit, seine bekannte Philippika gegen die weiße Farbe loszulassen. Sage zum Schlusse seines Redeschwalles: „Eigentlich, genau betrachtet, haben Sie Recht!“ Auf diese Weise wird dir der Besuch dieses wirklich aparten Poetenstübchens recht angenehm sein, und solltest du beim Weggehen auf dem Nachtkästchen einen Zehnkronenschein deponieren, er ist zu wohlerzogen, dich darauf aufmerksam zu machen.“ Mit Abweichungen gedruckt in: Mein Lebensabend (1919).

Experte: Mag. Andreas Löbbecke Mag. Andreas Löbbecke
+43-1-515 60-389

books@dorotheum.at

27.11.2023 - 15:59

Erzielter Preis: **
EUR 2.200,-
Startpreis:
EUR 1.200,-

Altenberg, Peter,


Schriftsteller, 1859 – 1919. E. Manuskript (“Kleiner Führer” durch den Dichter. Von Peter Altenberg), o. O., o. D., 4 S., Hotelpapier (Graben-Hotel), leicht fleckig, unbedeutende Klammerspur.

“Also, wenn man die Türe des Zimmerchens im fünften Stocke aufmacht, muß man einige Augenblicke wie gebannt stehen bleiben, verweilen, und dann erst leise sagen: “Nein, wie lieb Sie es da haben, wie heimlich, wie besonders!” Worauf er Dir in die Rede fällt und sagt: “Es ist ein Nest, mein Nest, ein jeder Vogel hat sein Nest, nur die Menschen sind zu ungeschickt dazu, und lassen sich von einem Architekten für Innen-Kultur ihr Nest bauen für ihr Geld, pfui!” Du darfst also, wenn Du an der Schwelle seines Heimes noch sinnend verweilst, wie ich dir es anrate, niemals sagen: “Ah, Ihr Nest!” Oder: “Ein wirklcihes Nest!” Denn eben dieses Wort wünscht er dir allen Umständen bereits vorwurfsvoll zuzuzischen. Auch darfst du nicht sagen, du habest in Deiner Art auch eigentlich eines. Ich rate dir vielmehr, zu gestehen, auch wenn es nicht wahr ist, dich habe leider, der Architekt X. Y. eingerichtet, freilich, kannst Du zu Deiner Entschuldigung hinzufügen, mit dem Gelde der Shwiegereltern. Du kannst ohne weiters von den hunderten Bildchen und Sächelchen in seinem Kabinette einige als dir besonders sympatisch hervorheben, da er dir bei seinem guten Benehmen sofort sagt: “Gerade diese?! Da sehe ich gleich, daß Sie ein moderner Mensch sind!” An den “Akt-Bildern” darfst du nicht verschämt dich vorüberdrücken, das verträgt er nicht. Schaue ihnen gerade ins Gesicht, sie tuen dir nichts. Biete ihm lieber eine deiner Zigaretten an als eine von den seinen anzunehmen, er hat das lieber. Er wird dich auf seine aparte Fenster-Aussicht aufmerksam machen, altes rotbraunes Dach mit großem weißem Dachfenster. Da kannst du das Wort “Nürnberg” lispeln. Die braunen à jour-Vorhänge mit großen Blättern erinnern dich an “Waldesboden im Herbste”. Die Sliwowitzflasche auf dem Nachtkästchen willst Du nicht gesehen haben. Das Bett, das durchaus, Decke, Polster, etc., mit braunkariertem Stoffe überzogen ist, errege deine Bewunderung. Du darfst jedoch einflechten, ob denn „weiß“ nicht doch gerade besser für ein Bett passe. Denn damit gibst du ihm Gelegenheit, seine bekannte Philippika gegen die weiße Farbe loszulassen. Sage zum Schlusse seines Redeschwalles: „Eigentlich, genau betrachtet, haben Sie Recht!“ Auf diese Weise wird dir der Besuch dieses wirklich aparten Poetenstübchens recht angenehm sein, und solltest du beim Weggehen auf dem Nachtkästchen einen Zehnkronenschein deponieren, er ist zu wohlerzogen, dich darauf aufmerksam zu machen.“ Mit Abweichungen gedruckt in: Mein Lebensabend (1919).

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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
stamps@dorotheum.at

+43 1 515 60 323
Auktion: Autographen, Handschriften, Urkunden
Auktionstyp: Online Auction
Datum: 27.11.2023 - 15:59
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 22.11. - 27.11.2023


** Kaufpreis exkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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