Lot Nr. 11 -


Schule des Leonardo da Vinci, 16. Jahrhundert


Schule des Leonardo da Vinci, 16. Jahrhundert - Alte Meister I

Allegorie des Neids,
Öl auf Holz, 44 x 32 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Schweiz

Die vorliegende im Profil dargestellte Frau ist ein seltenes und bedeutsames Zeugnis profaner Kunst aus der Zeit der Renaissance. Die Dargestellte ist als Personifikation des Neids zu lesen, worauf die Bezeichnung auf ihrer Kopfbedeckung hinweist.

Das Gemälde entstand vermutlich zwischen den letzten Jahren des 15. und den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Florenz im Umfeld Leonardos. In der Tat weist das Werk zahlreiche Gemeinsamkeiten mit den vielen berühmten Karikaturen von zumeist alten Männern und Frauen des Meisters aus Vinci auf (von denen sich heute viele auf Schloss Windsor befinden). Sein Ziel bestand darin, die unterschiedlichen Ausdruckformen der Seele sowie die körperliche Hinfälligkeit einzufangen, die die Zeit dem menschlichen Körper auferlegt. Im Fall des vorliegenden Gemäldes ist insbesondere die Haltung im Profil bemerkenswert, die Leonardo in seinen Studien häufig anwendete; gleiches gilt für anatomische Details wie die Falten auf der Stirn, die lose Haut am Hals und selbst die kleine Warze am Kinn, die allesamt mit eindrucksvollem Realismus wiedergegeben sind.

Diese Merkmale gehen mit dem stilistischen Einfluss von Florentiner Malern wie Lorenzo di Credi und Piero di Cosimo einher; Ersterer wurde in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio ausgebildet und stand dadurch in enger Verbindung mit Leonardo; Letzterer war, wie Vasari ihn beschrieb, ein „merkwürdiger und fantastischer“ („strano e fantastico“) Künstler, in dessen Werken sich ein beinahe flämisches Interesse an realistischen Details mit einem geradezu antirhetorischen, fantastischen und häufig lyrisch bis humoristischen Geist verband.

In Florenz herrschte gegen Ende des Quattrocento und zu Beginn des Cinquecento unter reichen Händlern die Mode, Ausstattungszyklen mit Darstellungen mythologischer und allegorischer Sujets für ihre Häuser in Auftrag zu geben. Für das vorliegende Gemälde kann ein derartiger Kontext angenommen werden, zumal es vermutlich zu einer Serie der sieben Todsünden gehörte, denen möglicherweise die theologischen bzw. Kardinaltugenden gegenübergestellt waren.

Die Laster waren schon in der Kunst der Antike Thema gewesen, und die mit ihnen verbundenen Herausforderungen beschäftigte das Christentum das ganze Mittelalter hindurch. Dante betrachtete den Neid als eine Sünde, von der man erlöst werden konnte, und steckte die Neider ins Fegefeuer (Gesang XIII–XIV), wo sie als Büßer gereinigt werden, indem sie unaufhörlich mit Beispielen der Nächstenliebe und Wohltätigkeit, die dem Laster des Neides gegenüberstehen, konfrontiert werden.

Ikonografisch war das Thema des Neides weit verbreitet, auf Wandgemälden ebenso wie auf Tafelbildern und in der Druckgrafik. Giotto etwa stellt dieses Laster in der Cappella degli Scrovegni in Padua als alte Frau mit einer Zunge in Schlangenform dar, deren Körper von Flammen verschlungen wird; auf einem allegorischen Gemälde in der Galleria dell’Accademia in Venedig personifiziert Giovanni Bellini die Todsünde mit einer Schlange mit gespaltener Zunge in Händen. Auf der linken Seite von Mantegnas berühmter Druckgrafik Schlacht der Meeresgötter stellt der Künstler diese Sünde als ausgezehrte, heruntergekommene Alte dar, die eine sie identifizierende Kartusche umfasst hält. Bildideen wie diese entspringen dem Florentiner Humanismus. Zu den berühmtesten Beispielen gehört wohl die Darstellung aller menschlichen Laster durch Sandro Botticelli in seiner Verleumdung des Apelles in den Uffizien.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Schätzwert:
EUR 30.000,- bis EUR 40.000,-

Schule des Leonardo da Vinci, 16. Jahrhundert


Allegorie des Neids,
Öl auf Holz, 44 x 32 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Schweiz

Die vorliegende im Profil dargestellte Frau ist ein seltenes und bedeutsames Zeugnis profaner Kunst aus der Zeit der Renaissance. Die Dargestellte ist als Personifikation des Neids zu lesen, worauf die Bezeichnung auf ihrer Kopfbedeckung hinweist.

Das Gemälde entstand vermutlich zwischen den letzten Jahren des 15. und den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Florenz im Umfeld Leonardos. In der Tat weist das Werk zahlreiche Gemeinsamkeiten mit den vielen berühmten Karikaturen von zumeist alten Männern und Frauen des Meisters aus Vinci auf (von denen sich heute viele auf Schloss Windsor befinden). Sein Ziel bestand darin, die unterschiedlichen Ausdruckformen der Seele sowie die körperliche Hinfälligkeit einzufangen, die die Zeit dem menschlichen Körper auferlegt. Im Fall des vorliegenden Gemäldes ist insbesondere die Haltung im Profil bemerkenswert, die Leonardo in seinen Studien häufig anwendete; gleiches gilt für anatomische Details wie die Falten auf der Stirn, die lose Haut am Hals und selbst die kleine Warze am Kinn, die allesamt mit eindrucksvollem Realismus wiedergegeben sind.

Diese Merkmale gehen mit dem stilistischen Einfluss von Florentiner Malern wie Lorenzo di Credi und Piero di Cosimo einher; Ersterer wurde in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio ausgebildet und stand dadurch in enger Verbindung mit Leonardo; Letzterer war, wie Vasari ihn beschrieb, ein „merkwürdiger und fantastischer“ („strano e fantastico“) Künstler, in dessen Werken sich ein beinahe flämisches Interesse an realistischen Details mit einem geradezu antirhetorischen, fantastischen und häufig lyrisch bis humoristischen Geist verband.

In Florenz herrschte gegen Ende des Quattrocento und zu Beginn des Cinquecento unter reichen Händlern die Mode, Ausstattungszyklen mit Darstellungen mythologischer und allegorischer Sujets für ihre Häuser in Auftrag zu geben. Für das vorliegende Gemälde kann ein derartiger Kontext angenommen werden, zumal es vermutlich zu einer Serie der sieben Todsünden gehörte, denen möglicherweise die theologischen bzw. Kardinaltugenden gegenübergestellt waren.

Die Laster waren schon in der Kunst der Antike Thema gewesen, und die mit ihnen verbundenen Herausforderungen beschäftigte das Christentum das ganze Mittelalter hindurch. Dante betrachtete den Neid als eine Sünde, von der man erlöst werden konnte, und steckte die Neider ins Fegefeuer (Gesang XIII–XIV), wo sie als Büßer gereinigt werden, indem sie unaufhörlich mit Beispielen der Nächstenliebe und Wohltätigkeit, die dem Laster des Neides gegenüberstehen, konfrontiert werden.

Ikonografisch war das Thema des Neides weit verbreitet, auf Wandgemälden ebenso wie auf Tafelbildern und in der Druckgrafik. Giotto etwa stellt dieses Laster in der Cappella degli Scrovegni in Padua als alte Frau mit einer Zunge in Schlangenform dar, deren Körper von Flammen verschlungen wird; auf einem allegorischen Gemälde in der Galleria dell’Accademia in Venedig personifiziert Giovanni Bellini die Todsünde mit einer Schlange mit gespaltener Zunge in Händen. Auf der linken Seite von Mantegnas berühmter Druckgrafik Schlacht der Meeresgötter stellt der Künstler diese Sünde als ausgezehrte, heruntergekommene Alte dar, die eine sie identifizierende Kartusche umfasst hält. Bildideen wie diese entspringen dem Florentiner Humanismus. Zu den berühmtesten Beispielen gehört wohl die Darstellung aller menschlichen Laster durch Sandro Botticelli in seiner Verleumdung des Apelles in den Uffizien.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021