Lot Nr. 22


Giovanni Pietro Rizzoli, gen. il Giampietrino


Giovanni Pietro Rizzoli, gen. il Giampietrino - Alte Meister I

(Mailand 1480/85–1553)
Kreuztragung,
Öl auf Holz, 63,5 x 50 cm, gerahmt

Provenienz:
europäische Privatsammlung

Literatur:
C. Geddo, Giovanni Pietro Rizzoli, il Giampietrino L’opera completa (in Vorbereitung)

Wir danken Cristina Geddo, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes nach dessen Prüfung im Original bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung. Sie wird das Werk in ihre in Vorbereitung befindliche Monografie des Künstlers aufnehmen.

Diese bis dato unpublizierte Kreuztragung ist eine wichtige Hinzufügung zum Oeuvre des Künstlers. Stilistische und maltechnische Hinweise bestätigen die Autorenschaft von Leonardos Mailänder Schüler Giovanni Pietro Rizzoli, gen. Il Giampietrino.

Die vorliegende Kreuztragung verrät alle Merkmale von Giampietrinos verfeinerter Malweise: die schichtenweise aufgetragenen Schleier des leonardesken Sfumato; die Ton auf Ton gesetzten Glanzlichter, die das Licht in den grauen Augen und Haarlocken der Figur zart beleben; selbst die vom Künstler in der frischen Farbe gesetzten Umrissmarkierungen. Bei näherer Betrachtung der Maloberfläche zeigen sich tatsächlich auch mehrere Beispiele, wo der Künstler die Farbe mit den Händen bearbeitet hat, etwa im braunen Bart und Haar, wo Pigmente noch vor der weiteren Bearbeitung mit dem Pinsel auf diese Weise gemischt und aufgetragen wurden; gleiches gilt für die Schattenzonen der Hauttöne, etwa die eingefallenen Wangen, die Seitenflanke und den Arm. Giampietrino hat diese Technik von seinem Lehrer Leonardo übernommen und weiterentwickelt und sie zu seinem eigenen Stil der Fingermalerei gemacht, bei der er die in vielen seiner Werke erkennbare bloße Hand eingesetzt hat (siehe C. Geddo, La Madonna di Castel Vitoni del Giampietrino, in: Achademia Leonardi Vinci, VII, 1994, S. 59, Anm. 15).

Giampietrino entwickelte das Thema der Kreuztragung in einer ansehnlichen Gruppe halbfiguriger Andachtsbilder weiter, wodurch er sich den Ruf als Spezialist für diese besondere Ikonografie erwarb, der sich zuvor Andrea Solario (1460–1524) gewidmet hatte. Im Gegensatz zu Solarios realistischem Beispiel griff Giampietrino zu näher an Leonardo orientierten Lösungen; seiner Bilder sind lieblicher, aber auch dunkler und entsprechen besser den Ansprüchen der Zeit an das Andachtsbild. Dies erklärt den außergewöhnlichen Erfolg seiner Bilderfindungen, den die zahlreichen Repliken und Abwandlungen seiner produktiven Werkstatt belegen.

Das hier besprochene Gemälde belegt eine von zwei der erfolgreichsten Kompositionslösungen zu diesem Bildthema, die Giampietrino während seiner langen Laufbahn entwickelt hat. Die erste datiert aus Giampietrinos Frühzeit um 1515–1520. Die Komposition beruht auf dem ritratto di spalla [Schulterbild] von Leonardos berühmter Studie des Christus auf Papier in der Gallerie dell’Accademia in Venedig (um 1490), das der Künstler mit unterschiedlichen Bildideen Solarios verband. Den Erfolg dieses Bildes bezeugt die Existenz von zumindest fünf eigenhändigen Versionen, deren Urfassung die Kreuztragung des Szépművészeti Múzeum in Budapest darstellt (siehe Abb. 1).

Die zweite Kompositionslösung Giampietrinos aus einer späteren Schaffenszeit ist nur in Form von sechs Fassungen bekannt, die sich mit der Werkstatt des Meisters in Verbindung bringen lassen. Geddo hält die vorliegende Kreuztragung zweifellos für die verloren geglaubte eigenhändige Urfassung, die als Vorbild für die anderen bekannten Versionen diente, womit die Frage nach deren Quelle beantwortet wäre. Das vorliegende Gemälde stellt somit eine bedeutende Wiederentdeckung dar.

Die vorliegende Komposition führt die Interpretation des Bildinhalts in einem konsequent leonardesken Ton weiter, ist jedoch gegenüber dem früheren Budapester Kompositionstypus reifer und psychologisch differenzierter. Der stärkere Realismus und das betontere Pathos sprechen für die Rezeption anderer kultureller Einflüsse. Christus ist gegenüber dem Budapester ritratto di spalla in einem offeneren und natürlicheren Kontrapost wiedergegeben. Das vorliegende Gemälde macht sich unter gewissen Anpassungen die Pose von Leonardos Leda zunutze. Der Gegensatz zwischen dem nach links gewendeten Haupt Christi und dem gegenläufig dargestellten, vom Arm durchkreuzten Torso suggeriert Bewegung. Christus bückt sich unter der Last des Holzes und umarmt das Kreuz physisch in einer eindeutig symbolischen Geste. Das Spiel der angespannten Muskulatur insbesondere im Bereich von Brust, Rücken und Bizeps wird mit einer anatomischen Präzision beschrieben, die einem Schüler Leonardos würdig ist. Die zur Gänze sichtbaren und durch die hervortretenden Adern lebendigen Hände fügen der Darstellung eine ungewöhnlich ausdrucksstarke realistische Note hinzu. Weitere realistisch beschriebene Elemente steigern Wirklichkeitstreue und Pathos der Szene, etwa die kleine perlenartige Träne im linken Auge, die Male der Geißelung und die ausgefranste geknotete Schnur am Hals, die einen Schatten wirft.

Am bewegendsten an dieser Bildlösung ist der seitwärts gewandte und in die Leere gerichtete von Trauer erfüllte Blick Christi; in diesem Punkt besteht Ähnlichkeit mit Giampietrinos Selbstmord begehenden Heldinnen, insbesondere seiner Kleopatra im Louvre, Paris (Inv.-Nr. RF 2282), sowie mit Solarios Zeichnung einer Kreuztragung in der Wiener Albertina (Inv.-Nr. 18817). Trotz derartiger Anleihen steht Giampietrinos Christus den Christusfiguren Sodomas am nächsten, deren sowohl ästhetische als auch sinnliche Qualitäten Leonardoschülern eigen sind. Das vorliegende Gemälde wurde mit besonderer Sorgfalt und formalem Augenmerk in Bezug auf die Umrisse ausgeführt. Das schon vorher bewährte das Spiel der Falten belebende Motiv eines über den Unterarm gelegten Faltenwurfs fand auch später beim Altarbild der Maria Magdalena im Museo Bagatti Valsecchi in Mailand Verwendung.

Ausgehend von diesen Beobachtungen kann diese Kreuztragung der dritten und letzten Periode von Giampietrinos Laufbahn zugewiesen werden, die sich allerdings nur an wenigen gesicherten Datierungen festmachen lässt (siehe: C. Geddo, Le pale d’altare di Giampietrino: ipotesi per un percorso stilistico, in: Arte Lombarda, 101, 1992/2, S. 67–82; J. Shell, G. Sironi, Some documents for Giovanni Pietro Rizzoli: il Giampietrino?, in: Raccolta Vinciana, XXV, 1993, S. 121–146). Stilistisch ist das vorliegende Werk mit dem Altarbild im Museo Bagatti Valsecchi und der Geburt Christi mit zwei Engeln im Museo Civico di Milano vergleichbar, was auf eine Ausführung um 1530–1535 verweist – möglicherweise eher gegen Ende dieses Zeitraums. Bei dem vorliegenden Gemälde handelt es sich um die einzige bekannte eigenhändige Fassung Giampietrinos dieses Kompositionstypus der Kreuztragung.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

In der Infrarotreflektografie zeigen sich entlang der Umrisse der Figur mehrere Linien einer Unterzeichnung. Das Bildthema muss sorgfältig durch Studien vorbereitet worden sein und wurde vermutlich mittels Karton oder einer vergleichbaren Methode übertragen, wobei keine Übertragungsspuren gefunden wurden (siehe Abb. 2). Die Malerei weist die typischen Eigenschaften von Giampietrinos Maltechnik auf: eine mittels IRR nicht notwendigerweise durchgehend zutage gebrachte Unterzeichnung entlang der Umrisse, den weißen Malgrund, ein sorgfältiges Sfumato für die Schatten und eine besondere Art Rotlack, nämlich Krapplack. Dieses Pigment, das sich selten vor 1500 feststellen lässt, fand als Alternative zum Rotlack auf Karminbasis (Kermesschildlaus oder Cochenillen) ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts vermehrt Verbreitung.

Bei dem vorliegenden Gemälde mittels Reflexionsspektroskopie wurde Krapplack in den Hauttönen unter Hinzufügung von Bleiweiß, Zinnober, Rußschwarz und etwas Ocker festgestellt. Wie die optische Untersuchung unter dem Mikroskop ergeben hat, finden sich auch wenige Partikel von Azurit oder Grün (grüne Erde?). Derselbe Rotlack fand bereits im Fornari-Altarbild für San Marino in Pavia, dem frühesten datierten Werk des Künstlers (21. Dezember 1521) und damit beinahe einzigen chronologischen Anhaltspunkt seines Werkkatalogs, Anwendung: Dort setzte er ihn mit blauen Pigmenten vermischt ein, um die ungewöhnlichen Purpurtöne zu erzielen.

Zur Wiedergabe des Inkarnats in Gemälden wie diesem wurde normalerweise eine Mischung aus Bleiweiß, Zinnober und Ocker bevorzugt. Rußschwarz und braune Erde fanden zur Abschattierung des Körpers Anwendung, vornehmlich Schwarz zur Abtönung des roten Mantels, der mit Zinnober und Bleiweiß im Bereich der Glanzlichter umgesetzt wurde. Diese vereinfachte Handhabung der Helldunkelmalerei, bei der ähnlich der flämischen Tradition der Ölmalerei, bei der statt des schichtenweisen Auftrags von Lasuren farbiger Pigmente (etwa brauner Pigmente im Bereich der Hauttöne) größere Mengen von Schwarz hinzugefügt wurden, war typisch für Leonardos Einfluss, aber seit Vincenzo Foppa zum Teil auch in der Mailänder Tradition verwurzelt.

Wie traditionell üblich wurden Partikel von leuchtendem Zinnober der braunen Erde in den Braunbereichen des Haares und des Kreuzes beigemengt, um den Farbton zu verstärken. Giampietrinos typische Pinselschrift zeigt sich auch im Mantel: Parallele Striche in den Mitteltönen wechseln mit hellerem und dunklerem Rot ab.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 94.050,-
Schätzwert:
EUR 80.000,- bis EUR 120.000,-

Giovanni Pietro Rizzoli, gen. il Giampietrino


(Mailand 1480/85–1553)
Kreuztragung,
Öl auf Holz, 63,5 x 50 cm, gerahmt

Provenienz:
europäische Privatsammlung

Literatur:
C. Geddo, Giovanni Pietro Rizzoli, il Giampietrino L’opera completa (in Vorbereitung)

Wir danken Cristina Geddo, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes nach dessen Prüfung im Original bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung. Sie wird das Werk in ihre in Vorbereitung befindliche Monografie des Künstlers aufnehmen.

Diese bis dato unpublizierte Kreuztragung ist eine wichtige Hinzufügung zum Oeuvre des Künstlers. Stilistische und maltechnische Hinweise bestätigen die Autorenschaft von Leonardos Mailänder Schüler Giovanni Pietro Rizzoli, gen. Il Giampietrino.

Die vorliegende Kreuztragung verrät alle Merkmale von Giampietrinos verfeinerter Malweise: die schichtenweise aufgetragenen Schleier des leonardesken Sfumato; die Ton auf Ton gesetzten Glanzlichter, die das Licht in den grauen Augen und Haarlocken der Figur zart beleben; selbst die vom Künstler in der frischen Farbe gesetzten Umrissmarkierungen. Bei näherer Betrachtung der Maloberfläche zeigen sich tatsächlich auch mehrere Beispiele, wo der Künstler die Farbe mit den Händen bearbeitet hat, etwa im braunen Bart und Haar, wo Pigmente noch vor der weiteren Bearbeitung mit dem Pinsel auf diese Weise gemischt und aufgetragen wurden; gleiches gilt für die Schattenzonen der Hauttöne, etwa die eingefallenen Wangen, die Seitenflanke und den Arm. Giampietrino hat diese Technik von seinem Lehrer Leonardo übernommen und weiterentwickelt und sie zu seinem eigenen Stil der Fingermalerei gemacht, bei der er die in vielen seiner Werke erkennbare bloße Hand eingesetzt hat (siehe C. Geddo, La Madonna di Castel Vitoni del Giampietrino, in: Achademia Leonardi Vinci, VII, 1994, S. 59, Anm. 15).

Giampietrino entwickelte das Thema der Kreuztragung in einer ansehnlichen Gruppe halbfiguriger Andachtsbilder weiter, wodurch er sich den Ruf als Spezialist für diese besondere Ikonografie erwarb, der sich zuvor Andrea Solario (1460–1524) gewidmet hatte. Im Gegensatz zu Solarios realistischem Beispiel griff Giampietrino zu näher an Leonardo orientierten Lösungen; seiner Bilder sind lieblicher, aber auch dunkler und entsprechen besser den Ansprüchen der Zeit an das Andachtsbild. Dies erklärt den außergewöhnlichen Erfolg seiner Bilderfindungen, den die zahlreichen Repliken und Abwandlungen seiner produktiven Werkstatt belegen.

Das hier besprochene Gemälde belegt eine von zwei der erfolgreichsten Kompositionslösungen zu diesem Bildthema, die Giampietrino während seiner langen Laufbahn entwickelt hat. Die erste datiert aus Giampietrinos Frühzeit um 1515–1520. Die Komposition beruht auf dem ritratto di spalla [Schulterbild] von Leonardos berühmter Studie des Christus auf Papier in der Gallerie dell’Accademia in Venedig (um 1490), das der Künstler mit unterschiedlichen Bildideen Solarios verband. Den Erfolg dieses Bildes bezeugt die Existenz von zumindest fünf eigenhändigen Versionen, deren Urfassung die Kreuztragung des Szépművészeti Múzeum in Budapest darstellt (siehe Abb. 1).

Die zweite Kompositionslösung Giampietrinos aus einer späteren Schaffenszeit ist nur in Form von sechs Fassungen bekannt, die sich mit der Werkstatt des Meisters in Verbindung bringen lassen. Geddo hält die vorliegende Kreuztragung zweifellos für die verloren geglaubte eigenhändige Urfassung, die als Vorbild für die anderen bekannten Versionen diente, womit die Frage nach deren Quelle beantwortet wäre. Das vorliegende Gemälde stellt somit eine bedeutende Wiederentdeckung dar.

Die vorliegende Komposition führt die Interpretation des Bildinhalts in einem konsequent leonardesken Ton weiter, ist jedoch gegenüber dem früheren Budapester Kompositionstypus reifer und psychologisch differenzierter. Der stärkere Realismus und das betontere Pathos sprechen für die Rezeption anderer kultureller Einflüsse. Christus ist gegenüber dem Budapester ritratto di spalla in einem offeneren und natürlicheren Kontrapost wiedergegeben. Das vorliegende Gemälde macht sich unter gewissen Anpassungen die Pose von Leonardos Leda zunutze. Der Gegensatz zwischen dem nach links gewendeten Haupt Christi und dem gegenläufig dargestellten, vom Arm durchkreuzten Torso suggeriert Bewegung. Christus bückt sich unter der Last des Holzes und umarmt das Kreuz physisch in einer eindeutig symbolischen Geste. Das Spiel der angespannten Muskulatur insbesondere im Bereich von Brust, Rücken und Bizeps wird mit einer anatomischen Präzision beschrieben, die einem Schüler Leonardos würdig ist. Die zur Gänze sichtbaren und durch die hervortretenden Adern lebendigen Hände fügen der Darstellung eine ungewöhnlich ausdrucksstarke realistische Note hinzu. Weitere realistisch beschriebene Elemente steigern Wirklichkeitstreue und Pathos der Szene, etwa die kleine perlenartige Träne im linken Auge, die Male der Geißelung und die ausgefranste geknotete Schnur am Hals, die einen Schatten wirft.

Am bewegendsten an dieser Bildlösung ist der seitwärts gewandte und in die Leere gerichtete von Trauer erfüllte Blick Christi; in diesem Punkt besteht Ähnlichkeit mit Giampietrinos Selbstmord begehenden Heldinnen, insbesondere seiner Kleopatra im Louvre, Paris (Inv.-Nr. RF 2282), sowie mit Solarios Zeichnung einer Kreuztragung in der Wiener Albertina (Inv.-Nr. 18817). Trotz derartiger Anleihen steht Giampietrinos Christus den Christusfiguren Sodomas am nächsten, deren sowohl ästhetische als auch sinnliche Qualitäten Leonardoschülern eigen sind. Das vorliegende Gemälde wurde mit besonderer Sorgfalt und formalem Augenmerk in Bezug auf die Umrisse ausgeführt. Das schon vorher bewährte das Spiel der Falten belebende Motiv eines über den Unterarm gelegten Faltenwurfs fand auch später beim Altarbild der Maria Magdalena im Museo Bagatti Valsecchi in Mailand Verwendung.

Ausgehend von diesen Beobachtungen kann diese Kreuztragung der dritten und letzten Periode von Giampietrinos Laufbahn zugewiesen werden, die sich allerdings nur an wenigen gesicherten Datierungen festmachen lässt (siehe: C. Geddo, Le pale d’altare di Giampietrino: ipotesi per un percorso stilistico, in: Arte Lombarda, 101, 1992/2, S. 67–82; J. Shell, G. Sironi, Some documents for Giovanni Pietro Rizzoli: il Giampietrino?, in: Raccolta Vinciana, XXV, 1993, S. 121–146). Stilistisch ist das vorliegende Werk mit dem Altarbild im Museo Bagatti Valsecchi und der Geburt Christi mit zwei Engeln im Museo Civico di Milano vergleichbar, was auf eine Ausführung um 1530–1535 verweist – möglicherweise eher gegen Ende dieses Zeitraums. Bei dem vorliegenden Gemälde handelt es sich um die einzige bekannte eigenhändige Fassung Giampietrinos dieses Kompositionstypus der Kreuztragung.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

In der Infrarotreflektografie zeigen sich entlang der Umrisse der Figur mehrere Linien einer Unterzeichnung. Das Bildthema muss sorgfältig durch Studien vorbereitet worden sein und wurde vermutlich mittels Karton oder einer vergleichbaren Methode übertragen, wobei keine Übertragungsspuren gefunden wurden (siehe Abb. 2). Die Malerei weist die typischen Eigenschaften von Giampietrinos Maltechnik auf: eine mittels IRR nicht notwendigerweise durchgehend zutage gebrachte Unterzeichnung entlang der Umrisse, den weißen Malgrund, ein sorgfältiges Sfumato für die Schatten und eine besondere Art Rotlack, nämlich Krapplack. Dieses Pigment, das sich selten vor 1500 feststellen lässt, fand als Alternative zum Rotlack auf Karminbasis (Kermesschildlaus oder Cochenillen) ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts vermehrt Verbreitung.

Bei dem vorliegenden Gemälde mittels Reflexionsspektroskopie wurde Krapplack in den Hauttönen unter Hinzufügung von Bleiweiß, Zinnober, Rußschwarz und etwas Ocker festgestellt. Wie die optische Untersuchung unter dem Mikroskop ergeben hat, finden sich auch wenige Partikel von Azurit oder Grün (grüne Erde?). Derselbe Rotlack fand bereits im Fornari-Altarbild für San Marino in Pavia, dem frühesten datierten Werk des Künstlers (21. Dezember 1521) und damit beinahe einzigen chronologischen Anhaltspunkt seines Werkkatalogs, Anwendung: Dort setzte er ihn mit blauen Pigmenten vermischt ein, um die ungewöhnlichen Purpurtöne zu erzielen.

Zur Wiedergabe des Inkarnats in Gemälden wie diesem wurde normalerweise eine Mischung aus Bleiweiß, Zinnober und Ocker bevorzugt. Rußschwarz und braune Erde fanden zur Abschattierung des Körpers Anwendung, vornehmlich Schwarz zur Abtönung des roten Mantels, der mit Zinnober und Bleiweiß im Bereich der Glanzlichter umgesetzt wurde. Diese vereinfachte Handhabung der Helldunkelmalerei, bei der ähnlich der flämischen Tradition der Ölmalerei, bei der statt des schichtenweisen Auftrags von Lasuren farbiger Pigmente (etwa brauner Pigmente im Bereich der Hauttöne) größere Mengen von Schwarz hinzugefügt wurden, war typisch für Leonardos Einfluss, aber seit Vincenzo Foppa zum Teil auch in der Mailänder Tradition verwurzelt.

Wie traditionell üblich wurden Partikel von leuchtendem Zinnober der braunen Erde in den Braunbereichen des Haares und des Kreuzes beigemengt, um den Farbton zu verstärken. Giampietrinos typische Pinselschrift zeigt sich auch im Mantel: Parallele Striche in den Mitteltönen wechseln mit hellerem und dunklerem Rot ab.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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