Lot Nr. 92


Giovanni Francesco Barbieri, gen. il Guercino


Giovanni Francesco Barbieri, gen. il Guercino - Alte Meister I

(Cento 1591–1666 Bologna)
Rinaldo und Armida,
Öl auf Leinwand, 113,5 x 153,5 cm, gerahmt

Provenienz:
1657 beauftragt durch Massimiliano III., Marchese di Soncino, jedoch an einen anderen Käufer verkauft;
Sammlung Girolamo Manfrin, Venedig, um 1795–1897;
Auktion, Giulio Sambone, Mailand, 1897;
europäische Privatsammlung;
Auktion, Dorotheum, Wien, 21. April 2010, Lot 74 (verkauft um € 1.042.300 );
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
C. C. Malvasia, Felsina pittrice: Vite de’ pittori bolognesi, Bd. II, Bologna 1678, S. 380;
C. C. Malvasia, Felsina pittrice: Vite de’ pittori bolognesi, Bd. II, überarbeitete Auflage, Bologna 1841, S. 270;
C. Laderchi, Descrizione della quadreria Costabili, Ferrara 1841, Erwähnung auf S. 24 (als Guercino);
Catalogo dei quadri esistenti nella Galleria Manfrin in Venezia, Venedig 1856, Nr. 298 (als Guercino);
F. Zanotto, Nuovissima guida di Venezia delle isole della laguna, Venedig 1856, S. 344 (als Guercino);
G. Nicoletti, Pinacoteca Manfrin a Venezia, Venedig 1872, S. 23, Nr. 103 (als Guercino);
N. Turner, The Paintings of Guercino: A Revised and Expanded Catalogue raisonné, Rom 2017, S. 738, Nr. 455 (als Guercino)
L. Borean, La Galleria Manfrin a Venezia; L’ultima collezione d’arte della Serenissima, Udine 2018, S. 138 (als Guercino)

Das vorliegende Gemälde Guercinos zeigt Rinaldo, der im Begriff ist, Armida davon abzuhalten, sich einen ihrer Pfeile in den Körper zu stoßen, um dadurch Selbstmord zu begehen. Die Liebenden Rinaldo und Armida sind die Hauptcharaktere in dem italienischen Versepos Gerusalemme Liberata von Torquato Tasso (1544–1595), einem idealisierten Bericht des ersten Kreuzzugs. Rinaldo ist ein christlicher Prinz, Armida eine vom Satan entsandte schöne Zauberin im Bunde mit den Sarazenen, um die Pläne der Kreuzritter mit ihren Hexenkünsten zu vereiteln. Das Bild ist ein wichtiges Beispiel für Guercinos langjährige und fruchtbare Tätigkeit als Maler weltlicher Themen, die 1615–1617 mit den Freskendekorationen für die Casa Pannini, eine kleine Landvilla außerhalb Centos, begann. In einem der Räume der Casa Pannini war die Geschichten von Rinaldo und Armida inklusive dieser vorletzten Szene zu sehen, in der Rinaldo Armida Einhalt gebietet (siehe P. Bagni, Guercino a Cento, Le decorazioni di Casa Pannini, Bologna 1984, S. 164, Abb. 129; zur allgemeinen Besprechung der Ausstattung dieses Raumes siehe S. 141ff.). Diese Bildfolge wurde abgenommen und befindet sich heute in der Pinacoteca Civica in Cento.

Nicholas Turner hat unlängst vorgeschlagen, das vorliegende Werk als eines der fünf Gemälde zu identifizieren, die vom Marchese di Soncino beauftragt wurden und von denen vier bei Malvasia verzeichnet sind: „Fece al sig. Marchese Tonsini Milanese Quattro pezzi di quadri: Abraam quando scacciò Agar, Rinaldo, ed Armida. Una B. V. Assunta, ed un Davide con la testa del Gigante.“ Davon sind nur zwei als bezahlt vermerkt (siehe Turner 2017, S. 734f., Nr. 449, 450). Die Zahlungsschwierigkeiten haben vermutlich nichts mit einem Fehler in Guercinos Büchern oder mit einer Fehlinterpretation Malvasias zu tun (wie Mahon angenommen hat), sondern mit den schwerwiegenden Problemen, die Massimiliano III., den Marchese di Soncino, den größten Teil seines Lebens begleiteten. 1640 wurde er nach einer Anklage wegen Doppelmords (zu dem ein dritter Mord hinzukam) zum Tode verurteilt, und sein Besitz wurde konfisziert. 1653 wurde er jedoch von König Philipp IV. von Spanien begnadigt, sodass er schließlich sein Schloss bei Mailand wieder in Besitz nahm. In seinen letzten Jahren vor seinem Tod 1659 erlangte er zwar noch eine seinem Rang angemessene Stellung als Mitglied des Rates der LX Decurioni von Mailand sowie bald darauf, 1657, des Consiglio dei XII di Provvisione. Doch finanzielle Probleme mögen erklären, warum die Vertreibung von Hagar und Ismael (siehe Turner 2017, S. 737, Nr. 454) auf einen anderen Auftraggeber überging und auch das vorliegende Werk – womöglich nie vollendet und auf eine halbfigurige Darstellung beschnitten (wie eine vorbereitende Studie zeigt; siehe Turner, 2017, S. 738, Nr. 455.a) – an jemand anderen verkauft wurde.

Das vorliegende Gemälde des Armida Einhalt gebietenden Rinaldo war als Galeriebild und Augenweide konzipiert. Im Gegensatz zur gleichmäßig beleuchteten Oberfläche und den gedämpften Pastelltönen der vielen Bilder mit religiösen Inhalten aus Guercinos Spätwerk wird das Drama um Armidas Selbstmordversuch durch den düsteren Hintergrund verstärkt. Indem der Ausdruck in Rinaldos Augen durch den von seiner Helmkrempe geworfenen Schatten verdeckt wird, ist der Betrachter gezwungen, vornehmlich Armidas gequälten Ausdruck und ihre durch Komposition und dunkle Umgebung in den Vordergrund gerückte bleiche Gestalt wahrzunehmen. Eine besonders willkommene Überraschung des Bildes sind die vielen mit Bravour gelösten Passagen in manchen Details. So meistert Guercino souverän malerische Herausforderungen wie Rinaldos glänzenden Federhelm oder Armidas abgelegte Waffen samt Pfeilköcher (offensichtlich jedoch ohne Bogen), Schwert und Rüstung, die rechts unten zu einer Art Trophäe aufgestapelt sind.

Wie bereits erwähnt, war eines der Zimmer der Casa Pannini, die Camera della Venere, ursprünglich mit neun Fresken mit den Geschichten von Rinaldo und Armida dekoriert, die sich heute in der Pinacoteca Civica in Cento befinden. In Guercinos dem vorliegenden Bild entsprechender Szene der Casa Pannini erscheinen die beiden Protagonisten ganzfigurig in einer offenen Landschaft, wobei Rinaldo Armidas selbstzerstörerischen Akt zu verhindern sucht, indem er sich ihr von hinten nähert und mit seiner Rechten ihren rechten Unterarm festhält. Köcher und Bogen wurden zu Boden geworfen. Hier steht Rinaldo jedoch an der Seite Armidas, um ihr finsteres Vorhaben zu vereiteln. Trotz dieser Unterschiede in der Ausführung des Bildthemas zwischen den beiden Werken, die viele Jahre trennen, gibt es einige interessante Gemeinsamkeiten, vor allem in der Haltung und Beleuchtung der Armida. Auch in dem frühen Fresko neigt sie ihren Kopf ein wenig kokett nach rechts und streckt sie ihre Arme zur Seite, als wolle sie davonfliegen. Sogar ihr Kleid mit der hoch angesetzten Taille, um die eine Schleife gebunden ist, ist ähnlich. Und auch in der viel späteren Ausführung ist ihr Körper von links beleuchtet, sodass die rechte Seite ihres Gesichts und Körpers im Schatten liegen.

Es sind zwei Vorzeichnungen Guercinos für das vorliegende Gemälde bekannt, eine in der Christ Church Picture Gallery in Oxford (Inv.-Nr. 0578, 235 x 192 mm; siehe Abb. 1), die andere in der Brera in Mailand (siehe Abb. 2). Die Federzeichnung in Christ Church wurde von Denis Mahon, Massimo Pulini und anderen zunächst mit der auf Guercinos verlorenem Gemälde beruhenden Werkstattwiederholung im Palazzo Montecitorio in Rom in Verbindung gebracht (als Leihgabe im Museo di Capodimonte, Neapel; siehe J. Byam Shaw, Drawings by Old Masters at Christ Church, Oxford, Oxford 1976, I, S. 261, II, Abb. 602; siehe auch D. Mahon [Hg.], Guercino, Poesia e Sentimento nella Pittura del ‘600, Ausstellungskatalog, Novara 2003, S. 236, Nr. 78.). Sie ist typisch für Guercinos heftige, flott ausgeführte Federskizzen der Spätzeit. Interessant ist, dass die Zeichnung in Christ Church die Figuren beinahe in voller Länge wiedergibt, wobei Armidas Oberkörper entblößt ist, was nahelegen könnte, dass der Aufraggeber von Guercino zuerst eine ganzfigurige Darstellung haben wollte, der Meister aber dies möglicherweise aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung ablehnte. Wie im gemalten Bild steht Rinaldo auf einer Ebene neben Armida, beinahe wie zum Tanz, und hält sie von ihrem ungestümen Versuch ab, sich selbst zu verletzen, wobei er wie im Gemälde beidhändig eingreift. Dass ihrer Handlung Einhalt geboten wird ist natürlich auch der Höhepunkt der Dichtung: „già la fera punta al petto stende“.

Auf der Zeichnung der Brera hält Rinaldo Armidas Unterarm nur mit einer Hand fest, wobei sein Unterarm sich unterhalb von ihrem befindet und nicht darüber; Armida hält den linken Arm, den sie in die Hüfte gestützt hat, gebeugt, anstatt mit der Linken auf die Waffen hinter ihr zu deuten.

Das vorliegende Gemälde zeigt, mit welcher Gesinnung sich Guercino der Konzeption des Bildthemas nähert, an die er sich mit den beiden Zeichnungen herantastet: den unterschiedlichen emotionalen Tenor seiner Figuren sowie die Gegensätzlichkeit ihrer jeweiligen Absichten innerhalb der körperlichen Verstrickung und der Vorwärtsbewegung aus dem Bildraum hinaus auf den Betrachter zu, ähnlich einem tanzenden Paar. Diese Feinheiten entfalten sich im vorliegenden Bild auf wunderbare Weise. Wesentliche Details der beiden Zeichnungen leben fort oder wurden im Gemälde weiterentwickelt, was auf die Kontinuität des Schaffensprozesses verweist, wobei der Künstler von einem Medium ins andere wechselt.

Wir danken Nicholas Turner für seine Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Schätzwert:
EUR 400.000,- bis EUR 600.000,-

Giovanni Francesco Barbieri, gen. il Guercino


(Cento 1591–1666 Bologna)
Rinaldo und Armida,
Öl auf Leinwand, 113,5 x 153,5 cm, gerahmt

Provenienz:
1657 beauftragt durch Massimiliano III., Marchese di Soncino, jedoch an einen anderen Käufer verkauft;
Sammlung Girolamo Manfrin, Venedig, um 1795–1897;
Auktion, Giulio Sambone, Mailand, 1897;
europäische Privatsammlung;
Auktion, Dorotheum, Wien, 21. April 2010, Lot 74 (verkauft um € 1.042.300 );
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
C. C. Malvasia, Felsina pittrice: Vite de’ pittori bolognesi, Bd. II, Bologna 1678, S. 380;
C. C. Malvasia, Felsina pittrice: Vite de’ pittori bolognesi, Bd. II, überarbeitete Auflage, Bologna 1841, S. 270;
C. Laderchi, Descrizione della quadreria Costabili, Ferrara 1841, Erwähnung auf S. 24 (als Guercino);
Catalogo dei quadri esistenti nella Galleria Manfrin in Venezia, Venedig 1856, Nr. 298 (als Guercino);
F. Zanotto, Nuovissima guida di Venezia delle isole della laguna, Venedig 1856, S. 344 (als Guercino);
G. Nicoletti, Pinacoteca Manfrin a Venezia, Venedig 1872, S. 23, Nr. 103 (als Guercino);
N. Turner, The Paintings of Guercino: A Revised and Expanded Catalogue raisonné, Rom 2017, S. 738, Nr. 455 (als Guercino)
L. Borean, La Galleria Manfrin a Venezia; L’ultima collezione d’arte della Serenissima, Udine 2018, S. 138 (als Guercino)

Das vorliegende Gemälde Guercinos zeigt Rinaldo, der im Begriff ist, Armida davon abzuhalten, sich einen ihrer Pfeile in den Körper zu stoßen, um dadurch Selbstmord zu begehen. Die Liebenden Rinaldo und Armida sind die Hauptcharaktere in dem italienischen Versepos Gerusalemme Liberata von Torquato Tasso (1544–1595), einem idealisierten Bericht des ersten Kreuzzugs. Rinaldo ist ein christlicher Prinz, Armida eine vom Satan entsandte schöne Zauberin im Bunde mit den Sarazenen, um die Pläne der Kreuzritter mit ihren Hexenkünsten zu vereiteln. Das Bild ist ein wichtiges Beispiel für Guercinos langjährige und fruchtbare Tätigkeit als Maler weltlicher Themen, die 1615–1617 mit den Freskendekorationen für die Casa Pannini, eine kleine Landvilla außerhalb Centos, begann. In einem der Räume der Casa Pannini war die Geschichten von Rinaldo und Armida inklusive dieser vorletzten Szene zu sehen, in der Rinaldo Armida Einhalt gebietet (siehe P. Bagni, Guercino a Cento, Le decorazioni di Casa Pannini, Bologna 1984, S. 164, Abb. 129; zur allgemeinen Besprechung der Ausstattung dieses Raumes siehe S. 141ff.). Diese Bildfolge wurde abgenommen und befindet sich heute in der Pinacoteca Civica in Cento.

Nicholas Turner hat unlängst vorgeschlagen, das vorliegende Werk als eines der fünf Gemälde zu identifizieren, die vom Marchese di Soncino beauftragt wurden und von denen vier bei Malvasia verzeichnet sind: „Fece al sig. Marchese Tonsini Milanese Quattro pezzi di quadri: Abraam quando scacciò Agar, Rinaldo, ed Armida. Una B. V. Assunta, ed un Davide con la testa del Gigante.“ Davon sind nur zwei als bezahlt vermerkt (siehe Turner 2017, S. 734f., Nr. 449, 450). Die Zahlungsschwierigkeiten haben vermutlich nichts mit einem Fehler in Guercinos Büchern oder mit einer Fehlinterpretation Malvasias zu tun (wie Mahon angenommen hat), sondern mit den schwerwiegenden Problemen, die Massimiliano III., den Marchese di Soncino, den größten Teil seines Lebens begleiteten. 1640 wurde er nach einer Anklage wegen Doppelmords (zu dem ein dritter Mord hinzukam) zum Tode verurteilt, und sein Besitz wurde konfisziert. 1653 wurde er jedoch von König Philipp IV. von Spanien begnadigt, sodass er schließlich sein Schloss bei Mailand wieder in Besitz nahm. In seinen letzten Jahren vor seinem Tod 1659 erlangte er zwar noch eine seinem Rang angemessene Stellung als Mitglied des Rates der LX Decurioni von Mailand sowie bald darauf, 1657, des Consiglio dei XII di Provvisione. Doch finanzielle Probleme mögen erklären, warum die Vertreibung von Hagar und Ismael (siehe Turner 2017, S. 737, Nr. 454) auf einen anderen Auftraggeber überging und auch das vorliegende Werk – womöglich nie vollendet und auf eine halbfigurige Darstellung beschnitten (wie eine vorbereitende Studie zeigt; siehe Turner, 2017, S. 738, Nr. 455.a) – an jemand anderen verkauft wurde.

Das vorliegende Gemälde des Armida Einhalt gebietenden Rinaldo war als Galeriebild und Augenweide konzipiert. Im Gegensatz zur gleichmäßig beleuchteten Oberfläche und den gedämpften Pastelltönen der vielen Bilder mit religiösen Inhalten aus Guercinos Spätwerk wird das Drama um Armidas Selbstmordversuch durch den düsteren Hintergrund verstärkt. Indem der Ausdruck in Rinaldos Augen durch den von seiner Helmkrempe geworfenen Schatten verdeckt wird, ist der Betrachter gezwungen, vornehmlich Armidas gequälten Ausdruck und ihre durch Komposition und dunkle Umgebung in den Vordergrund gerückte bleiche Gestalt wahrzunehmen. Eine besonders willkommene Überraschung des Bildes sind die vielen mit Bravour gelösten Passagen in manchen Details. So meistert Guercino souverän malerische Herausforderungen wie Rinaldos glänzenden Federhelm oder Armidas abgelegte Waffen samt Pfeilköcher (offensichtlich jedoch ohne Bogen), Schwert und Rüstung, die rechts unten zu einer Art Trophäe aufgestapelt sind.

Wie bereits erwähnt, war eines der Zimmer der Casa Pannini, die Camera della Venere, ursprünglich mit neun Fresken mit den Geschichten von Rinaldo und Armida dekoriert, die sich heute in der Pinacoteca Civica in Cento befinden. In Guercinos dem vorliegenden Bild entsprechender Szene der Casa Pannini erscheinen die beiden Protagonisten ganzfigurig in einer offenen Landschaft, wobei Rinaldo Armidas selbstzerstörerischen Akt zu verhindern sucht, indem er sich ihr von hinten nähert und mit seiner Rechten ihren rechten Unterarm festhält. Köcher und Bogen wurden zu Boden geworfen. Hier steht Rinaldo jedoch an der Seite Armidas, um ihr finsteres Vorhaben zu vereiteln. Trotz dieser Unterschiede in der Ausführung des Bildthemas zwischen den beiden Werken, die viele Jahre trennen, gibt es einige interessante Gemeinsamkeiten, vor allem in der Haltung und Beleuchtung der Armida. Auch in dem frühen Fresko neigt sie ihren Kopf ein wenig kokett nach rechts und streckt sie ihre Arme zur Seite, als wolle sie davonfliegen. Sogar ihr Kleid mit der hoch angesetzten Taille, um die eine Schleife gebunden ist, ist ähnlich. Und auch in der viel späteren Ausführung ist ihr Körper von links beleuchtet, sodass die rechte Seite ihres Gesichts und Körpers im Schatten liegen.

Es sind zwei Vorzeichnungen Guercinos für das vorliegende Gemälde bekannt, eine in der Christ Church Picture Gallery in Oxford (Inv.-Nr. 0578, 235 x 192 mm; siehe Abb. 1), die andere in der Brera in Mailand (siehe Abb. 2). Die Federzeichnung in Christ Church wurde von Denis Mahon, Massimo Pulini und anderen zunächst mit der auf Guercinos verlorenem Gemälde beruhenden Werkstattwiederholung im Palazzo Montecitorio in Rom in Verbindung gebracht (als Leihgabe im Museo di Capodimonte, Neapel; siehe J. Byam Shaw, Drawings by Old Masters at Christ Church, Oxford, Oxford 1976, I, S. 261, II, Abb. 602; siehe auch D. Mahon [Hg.], Guercino, Poesia e Sentimento nella Pittura del ‘600, Ausstellungskatalog, Novara 2003, S. 236, Nr. 78.). Sie ist typisch für Guercinos heftige, flott ausgeführte Federskizzen der Spätzeit. Interessant ist, dass die Zeichnung in Christ Church die Figuren beinahe in voller Länge wiedergibt, wobei Armidas Oberkörper entblößt ist, was nahelegen könnte, dass der Aufraggeber von Guercino zuerst eine ganzfigurige Darstellung haben wollte, der Meister aber dies möglicherweise aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung ablehnte. Wie im gemalten Bild steht Rinaldo auf einer Ebene neben Armida, beinahe wie zum Tanz, und hält sie von ihrem ungestümen Versuch ab, sich selbst zu verletzen, wobei er wie im Gemälde beidhändig eingreift. Dass ihrer Handlung Einhalt geboten wird ist natürlich auch der Höhepunkt der Dichtung: „già la fera punta al petto stende“.

Auf der Zeichnung der Brera hält Rinaldo Armidas Unterarm nur mit einer Hand fest, wobei sein Unterarm sich unterhalb von ihrem befindet und nicht darüber; Armida hält den linken Arm, den sie in die Hüfte gestützt hat, gebeugt, anstatt mit der Linken auf die Waffen hinter ihr zu deuten.

Das vorliegende Gemälde zeigt, mit welcher Gesinnung sich Guercino der Konzeption des Bildthemas nähert, an die er sich mit den beiden Zeichnungen herantastet: den unterschiedlichen emotionalen Tenor seiner Figuren sowie die Gegensätzlichkeit ihrer jeweiligen Absichten innerhalb der körperlichen Verstrickung und der Vorwärtsbewegung aus dem Bildraum hinaus auf den Betrachter zu, ähnlich einem tanzenden Paar. Diese Feinheiten entfalten sich im vorliegenden Bild auf wunderbare Weise. Wesentliche Details der beiden Zeichnungen leben fort oder wurden im Gemälde weiterentwickelt, was auf die Kontinuität des Schaffensprozesses verweist, wobei der Künstler von einem Medium ins andere wechselt.

Wir danken Nicholas Turner für seine Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021