Lot Nr. 105


Giacomo Francesco Cipper, gen. il Todeschini


Giacomo Francesco Cipper, gen. il Todeschini - Alte Meister I

(Feldkirch 1664–1736 Mailand)
Ein Schuster und eine einem Kind das Haar schneidende Frau,
Öl auf Leinwand, 88,5 x 118,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Mailand

Wir danken Maria Silvia Proni, die die Zuschreibung bestätigt hat, für die Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Giacomo Francesco Cipper, gen. Il Todeschini, wurde in Österreich geboren, lebte aber in der Lombardei. In den letzten Jahrzehnten hat die Neubewertung seines Ansehens ihm wieder einen wichtigen Platz unter den Genremalern des 17. und 18. Jahrhunderts eingeräumt, und zwar als Schlüsselfigur zwischen dem in Italien wirkenden Dänen Eberhard Keilau (1621‒1687) und dem aus der Lombardei stammenden Giacomo Ceruti (1698‒1767), der für die Sensibilität seiner Bilder bekannt ist. Cippers Anwesenheit in Mailand ist bereits 1696 dokumentiert. Er sollte in dieser Stadt eine Werkstatt führen, die einen solchen Erfolg erlangte, dass sie Nachahmer fand. Cipper gewann die Anerkennung der intellektuellen Kreise der Stadt, und da er sich weiterhin als „todesco“ bezeichnete, genoss er auch die Gunst des in der Hauptstadt der Lombardei ansässigen österreichischen Adels.

Cipper erweist sich in seinen Werken als treuer Chronist der Armen: Er schildert Alltagsszenen ohne Helden und große Leistungen, ohne elegante Herren oder kokette Damen, und verzichtet auf kultivierte Bezüge zur Antike. Er erzählt Geschichten von einfachen Menschen, die den Schwierigkeiten des Lebens mit ruhiger Würde, mit Ironie und mit einem Lächeln des Sich Fügens begegnen.

Das vorliegende Gemälde zeigt eine Alltagsszene mit gewöhnlichen, aber realen Menschen. Sie befinden sich in einer Zeit und an einem Ort, die ganz typisch für Todeschini sind: Es ist eine Welt, in der das Leben aus einer Abfolge gewohnter Ereignisse besteht und die Arbeit mit ruhiger Konzentration und durch vertraut wiederholte Handlungen ausgeführt wird. Der Schuster ist würdevoll gekleidet und hat eine Wollmütze über den Kopf gezogen. Die Lederschürze schützt sein Wams, während er aufmerksam den Kopf dreht, um die Sohle eines Stiefels mit einer Geste zu nähen, die in anderen ähnlichen Szenen wiederkehrt, wie etwa in dem Gemälde einer Privatsammlung mit dem Titel Ein Schuster (siehe W. Arslan, Del Todeschini e di qualche pittore affine, in: Arte, Bd. 4, 1934, S. 271, Abb. 14) oder dem Bild Der Schuster (auch gen. Flickschuster und Strickerin [Ciabattino e donna che lavora a maglia]), das sich ebenfalls in einer Privatsammlung befindet (siehe L. Tognoli, G. F. Cipper, il „Todeschini“, Bergamo 1976, S. 44, Abb. 41). Die Frau auf dem vorliegenden Gemälde blickt den Betrachter an, während sie dem lächelnden Kind das Haar schneidet. Das Thema der Haarpflege taucht auch in anderen Kompositionen auf, beispielsweise in Eine alte Frau schneidet einem Jugendlichen im Beisein von Kartenspielern das Haar in einer Privatsammlung in Brescia (siehe F. Arisi, G. F. Cipper „il Todeschini“, in: Arte lombarda, Bd. 49, 1978, S. 115‒120): Hier bietet der Künstler einen Querschnitt alltäglicher Armut und tut das mit der ganzen Leichtigkeit eines über alle Register verfügenden Chronisten, der die Wirklichkeit, an der er teilhat, festhält.

Die drei Figuren des vorliegenden Werks sind mit der mühelosen Sicherheit von Hand und Denken eines Malers wiedergegeben, der seine Ausdrucksmittel voll beherrscht, die Schusterwerkzeuge ‒ Zange, Ahle, Hammer, Leisten und Ledermesser (die auch in dem zuvor erwähnten Bild Flickschuster und Strickerin auftauchen) sind beiläufig in der sie enthaltenden Kiste ausgelegt, die im Bildvordergrund positioniert ist und überraschend zu einem eigenständigen Stillleben wird. Die Kiste wird mit scheinbarer Nonchalance präsentiert, die Alltagsgegenstände sind genau im Licht positioniert und lassen ein starkes Gefühl für die unterschiedlichen Materialien entstehen: für die Härte der Metalloberflächen wie für die weicheren Formen der Holzgriffe, die alle ein Können verraten, das sich mit dem der renommiertesten Stilllebenspezialisten messen kann.

Der besonders dichte Farbauftrag, die Wiedergabe der Gesichtszüge der Figuren, die Harmonie der Töne ‒ besonders bemerkenswert im Zinnoberrot des Schals der Frau, der Hemdsärmel des Kindes und der Arme des Schusters, die durch die Öffnung zu einem von Wolken durchzogenen blauen Himmel hin betont werden ‒ sowie die Größe der Leinwand sind alles Merkmale, die auf eine Entstehung des Bildes in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts schließen lassen. Tatsächlich steht es dem Werk Alter Mann am Spinnrad und Kartenspieler in einer Privatsammlung (siehe M. S. Proni, Giacomo Francesco Cipper detto il „Todeschini“, Soncino 1994, S. 50, Nr. 7) und anderen Gemälden ähnlicher Thematik wie Der Scharlatan im Schloss Raitz (Rájec nad Svitavou) bei Brünn nahe, die alle, wie üblich, drei um einen Tisch sitzende Personen darstellen.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 37.800,-
Schätzwert:
EUR 30.000,- bis EUR 40.000,-

Giacomo Francesco Cipper, gen. il Todeschini


(Feldkirch 1664–1736 Mailand)
Ein Schuster und eine einem Kind das Haar schneidende Frau,
Öl auf Leinwand, 88,5 x 118,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Mailand

Wir danken Maria Silvia Proni, die die Zuschreibung bestätigt hat, für die Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Giacomo Francesco Cipper, gen. Il Todeschini, wurde in Österreich geboren, lebte aber in der Lombardei. In den letzten Jahrzehnten hat die Neubewertung seines Ansehens ihm wieder einen wichtigen Platz unter den Genremalern des 17. und 18. Jahrhunderts eingeräumt, und zwar als Schlüsselfigur zwischen dem in Italien wirkenden Dänen Eberhard Keilau (1621‒1687) und dem aus der Lombardei stammenden Giacomo Ceruti (1698‒1767), der für die Sensibilität seiner Bilder bekannt ist. Cippers Anwesenheit in Mailand ist bereits 1696 dokumentiert. Er sollte in dieser Stadt eine Werkstatt führen, die einen solchen Erfolg erlangte, dass sie Nachahmer fand. Cipper gewann die Anerkennung der intellektuellen Kreise der Stadt, und da er sich weiterhin als „todesco“ bezeichnete, genoss er auch die Gunst des in der Hauptstadt der Lombardei ansässigen österreichischen Adels.

Cipper erweist sich in seinen Werken als treuer Chronist der Armen: Er schildert Alltagsszenen ohne Helden und große Leistungen, ohne elegante Herren oder kokette Damen, und verzichtet auf kultivierte Bezüge zur Antike. Er erzählt Geschichten von einfachen Menschen, die den Schwierigkeiten des Lebens mit ruhiger Würde, mit Ironie und mit einem Lächeln des Sich Fügens begegnen.

Das vorliegende Gemälde zeigt eine Alltagsszene mit gewöhnlichen, aber realen Menschen. Sie befinden sich in einer Zeit und an einem Ort, die ganz typisch für Todeschini sind: Es ist eine Welt, in der das Leben aus einer Abfolge gewohnter Ereignisse besteht und die Arbeit mit ruhiger Konzentration und durch vertraut wiederholte Handlungen ausgeführt wird. Der Schuster ist würdevoll gekleidet und hat eine Wollmütze über den Kopf gezogen. Die Lederschürze schützt sein Wams, während er aufmerksam den Kopf dreht, um die Sohle eines Stiefels mit einer Geste zu nähen, die in anderen ähnlichen Szenen wiederkehrt, wie etwa in dem Gemälde einer Privatsammlung mit dem Titel Ein Schuster (siehe W. Arslan, Del Todeschini e di qualche pittore affine, in: Arte, Bd. 4, 1934, S. 271, Abb. 14) oder dem Bild Der Schuster (auch gen. Flickschuster und Strickerin [Ciabattino e donna che lavora a maglia]), das sich ebenfalls in einer Privatsammlung befindet (siehe L. Tognoli, G. F. Cipper, il „Todeschini“, Bergamo 1976, S. 44, Abb. 41). Die Frau auf dem vorliegenden Gemälde blickt den Betrachter an, während sie dem lächelnden Kind das Haar schneidet. Das Thema der Haarpflege taucht auch in anderen Kompositionen auf, beispielsweise in Eine alte Frau schneidet einem Jugendlichen im Beisein von Kartenspielern das Haar in einer Privatsammlung in Brescia (siehe F. Arisi, G. F. Cipper „il Todeschini“, in: Arte lombarda, Bd. 49, 1978, S. 115‒120): Hier bietet der Künstler einen Querschnitt alltäglicher Armut und tut das mit der ganzen Leichtigkeit eines über alle Register verfügenden Chronisten, der die Wirklichkeit, an der er teilhat, festhält.

Die drei Figuren des vorliegenden Werks sind mit der mühelosen Sicherheit von Hand und Denken eines Malers wiedergegeben, der seine Ausdrucksmittel voll beherrscht, die Schusterwerkzeuge ‒ Zange, Ahle, Hammer, Leisten und Ledermesser (die auch in dem zuvor erwähnten Bild Flickschuster und Strickerin auftauchen) sind beiläufig in der sie enthaltenden Kiste ausgelegt, die im Bildvordergrund positioniert ist und überraschend zu einem eigenständigen Stillleben wird. Die Kiste wird mit scheinbarer Nonchalance präsentiert, die Alltagsgegenstände sind genau im Licht positioniert und lassen ein starkes Gefühl für die unterschiedlichen Materialien entstehen: für die Härte der Metalloberflächen wie für die weicheren Formen der Holzgriffe, die alle ein Können verraten, das sich mit dem der renommiertesten Stilllebenspezialisten messen kann.

Der besonders dichte Farbauftrag, die Wiedergabe der Gesichtszüge der Figuren, die Harmonie der Töne ‒ besonders bemerkenswert im Zinnoberrot des Schals der Frau, der Hemdsärmel des Kindes und der Arme des Schusters, die durch die Öffnung zu einem von Wolken durchzogenen blauen Himmel hin betont werden ‒ sowie die Größe der Leinwand sind alles Merkmale, die auf eine Entstehung des Bildes in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts schließen lassen. Tatsächlich steht es dem Werk Alter Mann am Spinnrad und Kartenspieler in einer Privatsammlung (siehe M. S. Proni, Giacomo Francesco Cipper detto il „Todeschini“, Soncino 1994, S. 50, Nr. 7) und anderen Gemälden ähnlicher Thematik wie Der Scharlatan im Schloss Raitz (Rájec nad Svitavou) bei Brünn nahe, die alle, wie üblich, drei um einen Tisch sitzende Personen darstellen.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

Es können keine Kaufaufträge über Internet mehr abgegeben werden. Die Auktion befindet sich in Vorbereitung bzw. wurde bereits durchgeführt.