Lot Nr. 113 -


Johann Heinrich Tischbein der Ältere


Johann Heinrich Tischbein der Ältere - Alte Meister I

(Haina 1722–1789 Kassel)
Odysseus nimmt Abschied von Kalypso,
Öl auf Holz, 27,5 x 23,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Französischer Privatbesitz

Wir danken Petra Tiegel-Hertfelder für die Bestätigung der Eigenhändigkeit. Ihr Gutachten liegt vor.

Sie schreibt: „Diese Szene stammt aus der antiken Mythologie. Sie zeigt einen älteren, braungebrannten Mann mit ergrautem Haar und dichtem Vollbart, der ein blondgelocktes Mädchen im Arm hält. Dieses ergreift vertraulich seine Hand, während es die Linke zärtlich auf seinem Oberschenkel legt. Tischbein betont durch diese geschlossene Komposition die einvernehmliche Verbindung dieses ungleichen Paares Odysseus und Kalypso. Er hat sich am Rand einer Grotte zurückgezogen — angedeutet durch das Schilfgras links. Das kleinformatige Werk lebt von starken Farbkontrasten: der athletische Oberkörper des Helden neben dem blassen Inkarnat der Nymphe. Odysseus trägt um die Lenden ein wallendes, dunkelbraunes Tuch, das sich farblich mit dem Hintergrund verbindet. Seine Beine sind mit einem leuchtend roten Untergewand bedeckt, das sich in der Röte seiner Wangen dezent widerspiegelt. Kalypsos Kleid in hellem Blaugrün schmeichelt ihrem Teint ebenso wie die Perlen am gekräuselten hellblauen Band im Haar. Kalypso deutet mit ihrer rechten Hand verhalten zur Seite dorthin, wo sich die beschauliche Grotte zum Ausgang öffnet. Dort soll man sich das Ufer ihrer Insel Ogygia vorstellen. Das bedeutet für Odysseus den Weg in die Freiheit. Nach sieben langen Jahren soll die Nymphe auf Geheiß der Götter ihren Geliebten ziehen lassen. Odysseus spricht zu ihr – ungläubig, als könne er das noch nicht fassen.

Tischbein erfasst mit der deutlichen Mimik und Gestik den entscheidenden Augenblick: die Liebenden müssen voneinander Abschied nehmen. Tischbein zeigt mit diesem Bild, dass bedeutende Szenen, die der Geschichte eine Wendung geben, auch auf einem kleinen Format überzeugend darzustellen sind. Die sorgfältige Ausarbeitung der einzelnen Motive ist das Ergebnis seiner fundierten Ausbildung in Frankreich und Italien, was auch schon seine Zeitgenossen erkannten. J. H. Tischbein hat sich wiederholt mit Episoden aus diesem Mythenkreis beschäftigt: Zwei Werke aus der Ilias, Menelaos im Kampf mit Paris und Theseus zeigt Achill seine neuen Waffen, bezeugen das. Sie gehören zu der Sammlung der Hessischen Landgrafen. Aus den hinterlassenen Gemälden, Zeichnungen und Katalogen ist das vorliegende Thema aber nicht bekannt. Wir wissen, dass sich Tischbein regelmäßig mit Freunden traf, um aus den alten Erzählungen von Homer und Ovid zu hören: ‚und Wissenschaft an der Seite des Künstlers ist eine Freundin, die er oft um Rat fragen kann‘ (1797). Odysseus und Kalypso ist dafür ein gelungenes Beispiel. Das Gemälde befand sich lange in Frankreich. Es könnte schon im 18. Jahrhundert dorthin gelangt sein, denn im Siebenjährigen Krieg besetzten französische Truppen 1760/61 wiederholt Kassel. Vielleicht erging damals an Tischbein dieser Auftrag, weil seine lebendige Schilderung und Farbgebung den Geschmack des französischen Auftraggebers fand. Der Maler war Ende der 1750er-Jahre mit den Supraporten für das Schlösschen Wilhelmstal beschäftigt. Diese schildern die Erlebnisse des Odysseus-Sohnes Telemach. Das vorliegende Gemälde geht auf die erste Begebenheit in Homers Odyssee zurück: der Abschied des Helden von der Nymphe Kalypso.“

Dieses Bild umgibt ein prächtiger Bildrahmen, der sehr an Arbeiten Johann Augusts Nahl (1710–1785) erinnert. Tischbein und Nahl waren befreundet und beide Professoren an der Kasseler Kunstakademie.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Schätzwert:
EUR 18.000,- bis EUR 22.000,-

Johann Heinrich Tischbein der Ältere


(Haina 1722–1789 Kassel)
Odysseus nimmt Abschied von Kalypso,
Öl auf Holz, 27,5 x 23,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Französischer Privatbesitz

Wir danken Petra Tiegel-Hertfelder für die Bestätigung der Eigenhändigkeit. Ihr Gutachten liegt vor.

Sie schreibt: „Diese Szene stammt aus der antiken Mythologie. Sie zeigt einen älteren, braungebrannten Mann mit ergrautem Haar und dichtem Vollbart, der ein blondgelocktes Mädchen im Arm hält. Dieses ergreift vertraulich seine Hand, während es die Linke zärtlich auf seinem Oberschenkel legt. Tischbein betont durch diese geschlossene Komposition die einvernehmliche Verbindung dieses ungleichen Paares Odysseus und Kalypso. Er hat sich am Rand einer Grotte zurückgezogen — angedeutet durch das Schilfgras links. Das kleinformatige Werk lebt von starken Farbkontrasten: der athletische Oberkörper des Helden neben dem blassen Inkarnat der Nymphe. Odysseus trägt um die Lenden ein wallendes, dunkelbraunes Tuch, das sich farblich mit dem Hintergrund verbindet. Seine Beine sind mit einem leuchtend roten Untergewand bedeckt, das sich in der Röte seiner Wangen dezent widerspiegelt. Kalypsos Kleid in hellem Blaugrün schmeichelt ihrem Teint ebenso wie die Perlen am gekräuselten hellblauen Band im Haar. Kalypso deutet mit ihrer rechten Hand verhalten zur Seite dorthin, wo sich die beschauliche Grotte zum Ausgang öffnet. Dort soll man sich das Ufer ihrer Insel Ogygia vorstellen. Das bedeutet für Odysseus den Weg in die Freiheit. Nach sieben langen Jahren soll die Nymphe auf Geheiß der Götter ihren Geliebten ziehen lassen. Odysseus spricht zu ihr – ungläubig, als könne er das noch nicht fassen.

Tischbein erfasst mit der deutlichen Mimik und Gestik den entscheidenden Augenblick: die Liebenden müssen voneinander Abschied nehmen. Tischbein zeigt mit diesem Bild, dass bedeutende Szenen, die der Geschichte eine Wendung geben, auch auf einem kleinen Format überzeugend darzustellen sind. Die sorgfältige Ausarbeitung der einzelnen Motive ist das Ergebnis seiner fundierten Ausbildung in Frankreich und Italien, was auch schon seine Zeitgenossen erkannten. J. H. Tischbein hat sich wiederholt mit Episoden aus diesem Mythenkreis beschäftigt: Zwei Werke aus der Ilias, Menelaos im Kampf mit Paris und Theseus zeigt Achill seine neuen Waffen, bezeugen das. Sie gehören zu der Sammlung der Hessischen Landgrafen. Aus den hinterlassenen Gemälden, Zeichnungen und Katalogen ist das vorliegende Thema aber nicht bekannt. Wir wissen, dass sich Tischbein regelmäßig mit Freunden traf, um aus den alten Erzählungen von Homer und Ovid zu hören: ‚und Wissenschaft an der Seite des Künstlers ist eine Freundin, die er oft um Rat fragen kann‘ (1797). Odysseus und Kalypso ist dafür ein gelungenes Beispiel. Das Gemälde befand sich lange in Frankreich. Es könnte schon im 18. Jahrhundert dorthin gelangt sein, denn im Siebenjährigen Krieg besetzten französische Truppen 1760/61 wiederholt Kassel. Vielleicht erging damals an Tischbein dieser Auftrag, weil seine lebendige Schilderung und Farbgebung den Geschmack des französischen Auftraggebers fand. Der Maler war Ende der 1750er-Jahre mit den Supraporten für das Schlösschen Wilhelmstal beschäftigt. Diese schildern die Erlebnisse des Odysseus-Sohnes Telemach. Das vorliegende Gemälde geht auf die erste Begebenheit in Homers Odyssee zurück: der Abschied des Helden von der Nymphe Kalypso.“

Dieses Bild umgibt ein prächtiger Bildrahmen, der sehr an Arbeiten Johann Augusts Nahl (1710–1785) erinnert. Tischbein und Nahl waren befreundet und beide Professoren an der Kasseler Kunstakademie.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021