Lot Nr. 28


Hendrick Avercamp und Assistent


(Amsterdam 1585–1663 Kampen)
Winterlandschaft mit Eisvergnügen,
monogrammiert (auf dem Zelt): HVA (ligiert),
Öl auf Holz, 41,5 x 60 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Henry Doetsch (1839–1894), London;
dessen Auktion, Christie, Manson & Woods, London, 25. Juni 1895, Lot 443 (als Hendrick Avercamp);
Privatsammlung, Großbritannien;
Auktion, Sotheby’s, London, 7. Juli 1976, Lot 61 (als Hendrick Avercamp);
Brod Gallery, London, 1977;
Kunsthandel René Schreuder, Aerdenhout, 1990;
Galerie De Jonckheere, 1997;
Auktion, Dorotheum, Wien, 4. März 1997, Lot 136 (als Hendrick Avercamp);
Privatsammlung, Wien

Literatur:
W. von Seidlitz, H. Weizsäcker, G. Gronau, T. Thieme, Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. XVIII, Berlin/Boston 1895, S. 315 (als Hendrick Avercamp);
C. J. Welcker, Hendrick Avercamp 1585–1634 bijgenaamd „De stomme van Campen“ en Barent Avercamp, 1612–1679, „Schilders tot Campen“, Zwolle 1933, S. 228, Nr. S 366 (als Hendrick Avercamp);
C. J. Welcker, Hendrick Avercamp 1585–1634 bijgenaamd „De stomme van Campen“ en Barent Avercamp, 1612–1679, „Schilders tot Campen“, Bewerking Oeuvre-catalogus door D.J. Hensbroek-van der Poel, Doornspijk 1979, S. 235, 237, Nr. S 366, S 405.8 (als Hendrick Avercamp)

Das vorliegende Gemälde ist in der Datenbank des RKD unter Nr. 20403 verzeichnet (als Hendrick Avercamp und Gehilfe).

Wir danken Ellis Dullaart, die die Zuschreibung auf Grundlage einer Fotografie bestätigt hat, für ihre Unterstützung bei der Katalogisierung dieses Lots.

Das hier angebotene Werk zeigt eine belebte Winterszene. Sie ist typisch für das Schaffen von Hendrick Avercamp, der dieses Genre erfolgreich weiterentwickelt hat. Wie das vorliegende Gemälde sind viele der Kompositionen des Künstlers vom Ufer eines zugefrorenen Flusses oder Sees der flachen Landschaft im Norden der Niederlande aus gemalt. Dieser Blickwinkel hat es dem Künstler ermöglicht, eine Perspektive mittels des optischen Kunstgriffs des Repoussoir zu erzielen, der hier durch den kahlen Baum, die Scheune und den Heuhaufen unten links im vorliegenden Werk erzeugt wird. Überall schreiten zahlreiche Figuren vorsichtig über das glatte Eis, das einen neuen, nur saisonal benutzbaren Weg zum anderen Ufer bietet. Die meisten Menschen scheinen sich an diesem spektakulären Naturphänomen zu erfreuen. Hinzu kommen zwei Pferdeschlitten im Hintergrund, während die Herren im Vordergrund in eine frühe Form des Golfspiels vertieft sind. Zur Unterhaltung auf dem Eis tragen auch die Zeltreihen entlang des Ufers bei, die während eines Spaziergangs, einer Schlittenfahrt oder einer Schlittschuhtour warme Speisen und Getränke anbieten und in Avercamps Kompositionen häufig zu sehen sind. Die Signatur des Künstlers, für die er sein ligiertes Monogramm „HVA“ verwendet hat, befindet sich auf dem Zelt in der Bildmitte.

Obschon der Künstler seine Gemälde nicht datiert hat und es daher für die Forschung schwierig ist, eine Chronologie innerhalb seines Oeuvres zu erstellen, ordnet die Autorin des Werkverzeichnisses, Clara Welcker, das vorliegende Gemälde dem Frühwerk Avercamps zu (siehe Literatur). Dies befindet sich im Einklang mit der Komposition des vorliegenden Bildes, in der der wolkenverhangene graue Himmel und die gefrorene Eisfläche gleiche Anteile haben. Dieser relativ hohe Horizont ist in der frühen niederländischen Landschaftsmalerei ein übliches Merkmal. Ein weiteres vermutlich frühes Gemälde Avercamps mit dem Titel Winterlandschaft, das bei Lempertz in Köln am 12. Mai 2012 als Los 1215 verkauft wurde, weist Gemeinsamkeiten mit dem hier besprochenen Werk auf. Das Lempertz-Bild zeigt ebenfalls eine diagonale Reihe von Zelten und eine vergleichbare Bildlösung links, wo ein kahler Baum, ein Heuhaufen und eine Scheune zu sehen sind.

Es wird allgemein angenommen, dass Avercamp im Laufe seines Schaffens der allgemeinen Tendenz in der Landschaftsmalerei folgte, den Horizont abzusenken und die Figuren im Vordergrund seiner Bilder zu vergrößern. Diese Entwicklung zeigt sich deutlich in seinem Gemälde Eisvergnügen vor einer Stadt, das um 1620 datiert wird und sich heute im Rijksmuseum in Amsterdam befindet (Inv.-Nr. SK-C-1705). Auf diesem Gemälde ist der Horizont deutlich niedriger als auf dem vorliegenden Bild.

Es sei erwähnt, dass Clara Welcker in ihrem Werkverzeichnis von 1933 vermerkt, dass das vorliegende Gemälde links unten den Namen „Isaack van Ostade“ trug (siehe Literatur), wovon heute nichts mehr zu sehen sind (siehe technisches Gutachten von Gianluca Poldi). Dennoch bestätigt Welcker, dass das Gemälde von Hendrick Avercamp stammt. Nach Ansicht von Ellis Dullaart vom RKD in Den Haag sprechen die eingangs beschriebene Verwendung des Repoussoirs links unten sowie die Umsetzung des Bootes für eine Zuschreibung an Avercamp, zumal beides in Zusammenhang mit frühen Werken des Künstlers steht. Zwar sieht Dullaart die Darstellung der Figuren und der Eisfläche als weniger typisch für den Künstler an, doch stellt sie ein bedeutendes, deutlich sichtbares Pentiment fest, das die ursprüngliche Anwesenheit eines eleganten Paares und eines Hundes links beim Zelt in der Bildmitte erkennen lässt. Außerdem ist durch die Farbschichten nahe des Bootes links eine Unterzeichnung sichtbar, was durch die technische Untersuchung durch Gianluca Poldi bestätigt wird (siehe unten). Alles in allem hält Dullaart das vorliegende Gemälde für ein Gemeinschaftswerk Avercamps und eines Werkstattmitarbeiters.

Avercamp wurde taub geboren und konnte vermutlich nicht sprechen. Daher erhielt er den Spitznamen „de Stomme van Kampen“ [„der Stumme von Kampen“]. Aufgewachsen in dieser östlichen Stadt an der IJssel nahe den Ufern der ehemaligen inneren Zuiderzee, erlebte der Künstler schon in jungen Jahren die Freuden des Winters, insbesondere des Eises. Als er um 1607 in seine Geburtsstadt Amsterdam zurückkehrte, ging er bei Pieter Isaacsz in die Lehre und wurde möglicherweise bei dem Antwerpener Landschaftsmaler Gillis van Coninxloo ausgebildet. Das Jahr 1608 war eines der kältesten in der Geschichte der Niederlande. Die zugefrorenen Flüsse und Küstengewässer waren eine Inspirationsquelle für Avercamp, aber auch für Künstler wie Pieter Breughel I. und andere vor ihm, die die Winterlandschaft und die Vergnügungen auf dem Eis in Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken darstellten.

Das vorliegende Gemälde gehörte einst zur Sammlung des in Deutschland geborenen Henry Doetsch (1839–1894), der sein Vermögen in Spanien machte, wo er zu den Gründern der Firma Sundheim y Doetsch gehörte und Direktor der Rio Tinto Company war. Als Sammler von Gemälden alter Meister soll Doetsch mit dem amerikanischen Kunsthistoriker Bernard Berenson (1865–1959) in Kontakt gestanden und Werke berühmter niederländischer und italienischer Meister erworben haben. Nach seinen Jahren in Spanien ließ sich Doetsch in London nieder, wo er seine Sammlung weiter ausbaute und sein Haus und seine Kunstgalerie für Interessenten öffnete. Zum Zeitpunkt von Henry Doetschs Tod zählte seine Sammlung 400 Gemälde und 600 Miniaturen. Ein großer Teil wurde im Juni 1895 bei Christie’s in London versteigert, wodurch eine Reihe von Werken aus der Sammlung ihren Weg in die Royal Collection und andere angesehene Institutionen fand.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

Das Werk befindet sich auf einer dünnen, 6 Millimeter starken Eichentafel, deren Bretter horizontal zusammengefügt wurden. Auf der Rückseite ist die Tafel zum Teil parkettiert.

Über dem weißen Grund befindet sich eine Zeichnung in schwarzer Kreide. Trotz der extrem detailreichen und genauen Bildkomposition besteht die Unterzeichnung nur aus wenigen durchbrochenen Linien, mit der die Platzierung der Objekte und Flächen angedeutet wird. Dabei handelt es sich um die erste Zeichenstufe. Die Zeichnung der zweiten Stufe ist sehr dünn und nur unter IR-Kameras mit besonders hoher Auflösung sichtbar. In dieser zweiten Zeichenphase wurden die Figuren mit einem stark zugespitztem Stift, möglicherweise nach wie vor mit schwarzer Kreide oder einem dunkle Markierungen hinterlassenden Metallstift, ausgeführt. Die Figuren wurden aus dem großen Repertoire des Malers übernommen, der seine Kompositionen häufig aus denselben Elementen zusammenbaute. Die Entwurfsphase der Komposition muss daher besonders wichtig gewesen sein, weil es galt, das Kopieren oder Nachahmen früher gemalter Landschaften zu vermeiden.

Diese erste so grundlegende Phase der Zeichnung ist nicht um ihrer selbst willen von Interesse, sondern weil sie uns den Schaffensprozess Avercamps und möglicherweise auch den seiner Werkstatt vor Augen führt: Der Kompositionsentwurf wird mit einigen wenigen Linien angelegt, die anzeigen, was zu malen ist. Es sind Zeichen einer sehr persönlichen, für uns unverständlichen Sprache. In dieser Zeichnung bezeichnet ein einfaches „X“ mit einem vertikalen Rechteck den Standort der Windmühle, die dann weiter unten gemalt wurde; einige überkreuzte Linien scheinen den Standort von Gebäuden oder Zelten anzudeuten; komplexe Liniengefüge werden verwendet, um die Vegetation festzulegen, während die Zickzacklinien die Platzierung von Menschenansammlungen oder Figuren anzuzeigen scheinen.

Oberhalb dieser Unterzeichnung malte der Künstler das Eis und den Himmel, dann erst zeichnete er die Figuren und ein einige weitere Bildelemente. Die Charaktere sind sehr fein gezeichnet, wobei sie leicht verändert und schließlich mit Farbe vollendet wurden. Die verwendeten Pigmente, die unter Anwendung nichtinvasiver spektroskopischer Verfahren ermittelt wurden, umfassen Azurit für die Blaubereiche, bisweilen unter Beimischung anderer Pigmente, um den Ton abzuschwächen; Zinnober für die Rottöne; Ocker und braune Erden; ein fein vermahlenes schwarzes Pigment; Smalte für den Himmel rechts oben in jenem aufgrund vollständiger Verfärbung jetzt braun erscheinenden Bereich, was typischerweise in zahlreichen Werken auftritt, bei denen Smalte in Verbindung mit Trockenöl zum Einsatz kam. Rotlack fand nur sehr eingeschränkt in Verbindung mit Azurit zwecks Erzielung der gräulich-purpurnen Töne Verwendung.

Schließlich zeigen die Infrarotbilder mehrere Veränderungen hinsichtlich der Bildfindung: Unterhalb des Heuschobers auf der linken Seite befindet sich ein anders positioniertes Dach; ein kleiner Schuppen wurde entfernt. Die bedeutendste Veränderung, die stattfand, als das Gemälde bereits fast fertig war, betrifft jedoch die Bildmitte: Avercamp und sein Gehilfe überdeckten drei bereits gemalte Figuren durch Hinzufügung des Zeltes, auf das der Künstler mit rotem Ocker sein Monogramm setzte, als wäre es in den Stoff eingestickt. Das Monogramm fügt sich, wie sich unter dem Mikroskop gezeigt hat, ganz und gar in das übrige Gemälde ein.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

24.04.2024 - 18:00

Schätzwert:
EUR 220.000,- bis EUR 250.000,-

Hendrick Avercamp und Assistent


(Amsterdam 1585–1663 Kampen)
Winterlandschaft mit Eisvergnügen,
monogrammiert (auf dem Zelt): HVA (ligiert),
Öl auf Holz, 41,5 x 60 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Henry Doetsch (1839–1894), London;
dessen Auktion, Christie, Manson & Woods, London, 25. Juni 1895, Lot 443 (als Hendrick Avercamp);
Privatsammlung, Großbritannien;
Auktion, Sotheby’s, London, 7. Juli 1976, Lot 61 (als Hendrick Avercamp);
Brod Gallery, London, 1977;
Kunsthandel René Schreuder, Aerdenhout, 1990;
Galerie De Jonckheere, 1997;
Auktion, Dorotheum, Wien, 4. März 1997, Lot 136 (als Hendrick Avercamp);
Privatsammlung, Wien

Literatur:
W. von Seidlitz, H. Weizsäcker, G. Gronau, T. Thieme, Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. XVIII, Berlin/Boston 1895, S. 315 (als Hendrick Avercamp);
C. J. Welcker, Hendrick Avercamp 1585–1634 bijgenaamd „De stomme van Campen“ en Barent Avercamp, 1612–1679, „Schilders tot Campen“, Zwolle 1933, S. 228, Nr. S 366 (als Hendrick Avercamp);
C. J. Welcker, Hendrick Avercamp 1585–1634 bijgenaamd „De stomme van Campen“ en Barent Avercamp, 1612–1679, „Schilders tot Campen“, Bewerking Oeuvre-catalogus door D.J. Hensbroek-van der Poel, Doornspijk 1979, S. 235, 237, Nr. S 366, S 405.8 (als Hendrick Avercamp)

Das vorliegende Gemälde ist in der Datenbank des RKD unter Nr. 20403 verzeichnet (als Hendrick Avercamp und Gehilfe).

Wir danken Ellis Dullaart, die die Zuschreibung auf Grundlage einer Fotografie bestätigt hat, für ihre Unterstützung bei der Katalogisierung dieses Lots.

Das hier angebotene Werk zeigt eine belebte Winterszene. Sie ist typisch für das Schaffen von Hendrick Avercamp, der dieses Genre erfolgreich weiterentwickelt hat. Wie das vorliegende Gemälde sind viele der Kompositionen des Künstlers vom Ufer eines zugefrorenen Flusses oder Sees der flachen Landschaft im Norden der Niederlande aus gemalt. Dieser Blickwinkel hat es dem Künstler ermöglicht, eine Perspektive mittels des optischen Kunstgriffs des Repoussoir zu erzielen, der hier durch den kahlen Baum, die Scheune und den Heuhaufen unten links im vorliegenden Werk erzeugt wird. Überall schreiten zahlreiche Figuren vorsichtig über das glatte Eis, das einen neuen, nur saisonal benutzbaren Weg zum anderen Ufer bietet. Die meisten Menschen scheinen sich an diesem spektakulären Naturphänomen zu erfreuen. Hinzu kommen zwei Pferdeschlitten im Hintergrund, während die Herren im Vordergrund in eine frühe Form des Golfspiels vertieft sind. Zur Unterhaltung auf dem Eis tragen auch die Zeltreihen entlang des Ufers bei, die während eines Spaziergangs, einer Schlittenfahrt oder einer Schlittschuhtour warme Speisen und Getränke anbieten und in Avercamps Kompositionen häufig zu sehen sind. Die Signatur des Künstlers, für die er sein ligiertes Monogramm „HVA“ verwendet hat, befindet sich auf dem Zelt in der Bildmitte.

Obschon der Künstler seine Gemälde nicht datiert hat und es daher für die Forschung schwierig ist, eine Chronologie innerhalb seines Oeuvres zu erstellen, ordnet die Autorin des Werkverzeichnisses, Clara Welcker, das vorliegende Gemälde dem Frühwerk Avercamps zu (siehe Literatur). Dies befindet sich im Einklang mit der Komposition des vorliegenden Bildes, in der der wolkenverhangene graue Himmel und die gefrorene Eisfläche gleiche Anteile haben. Dieser relativ hohe Horizont ist in der frühen niederländischen Landschaftsmalerei ein übliches Merkmal. Ein weiteres vermutlich frühes Gemälde Avercamps mit dem Titel Winterlandschaft, das bei Lempertz in Köln am 12. Mai 2012 als Los 1215 verkauft wurde, weist Gemeinsamkeiten mit dem hier besprochenen Werk auf. Das Lempertz-Bild zeigt ebenfalls eine diagonale Reihe von Zelten und eine vergleichbare Bildlösung links, wo ein kahler Baum, ein Heuhaufen und eine Scheune zu sehen sind.

Es wird allgemein angenommen, dass Avercamp im Laufe seines Schaffens der allgemeinen Tendenz in der Landschaftsmalerei folgte, den Horizont abzusenken und die Figuren im Vordergrund seiner Bilder zu vergrößern. Diese Entwicklung zeigt sich deutlich in seinem Gemälde Eisvergnügen vor einer Stadt, das um 1620 datiert wird und sich heute im Rijksmuseum in Amsterdam befindet (Inv.-Nr. SK-C-1705). Auf diesem Gemälde ist der Horizont deutlich niedriger als auf dem vorliegenden Bild.

Es sei erwähnt, dass Clara Welcker in ihrem Werkverzeichnis von 1933 vermerkt, dass das vorliegende Gemälde links unten den Namen „Isaack van Ostade“ trug (siehe Literatur), wovon heute nichts mehr zu sehen sind (siehe technisches Gutachten von Gianluca Poldi). Dennoch bestätigt Welcker, dass das Gemälde von Hendrick Avercamp stammt. Nach Ansicht von Ellis Dullaart vom RKD in Den Haag sprechen die eingangs beschriebene Verwendung des Repoussoirs links unten sowie die Umsetzung des Bootes für eine Zuschreibung an Avercamp, zumal beides in Zusammenhang mit frühen Werken des Künstlers steht. Zwar sieht Dullaart die Darstellung der Figuren und der Eisfläche als weniger typisch für den Künstler an, doch stellt sie ein bedeutendes, deutlich sichtbares Pentiment fest, das die ursprüngliche Anwesenheit eines eleganten Paares und eines Hundes links beim Zelt in der Bildmitte erkennen lässt. Außerdem ist durch die Farbschichten nahe des Bootes links eine Unterzeichnung sichtbar, was durch die technische Untersuchung durch Gianluca Poldi bestätigt wird (siehe unten). Alles in allem hält Dullaart das vorliegende Gemälde für ein Gemeinschaftswerk Avercamps und eines Werkstattmitarbeiters.

Avercamp wurde taub geboren und konnte vermutlich nicht sprechen. Daher erhielt er den Spitznamen „de Stomme van Kampen“ [„der Stumme von Kampen“]. Aufgewachsen in dieser östlichen Stadt an der IJssel nahe den Ufern der ehemaligen inneren Zuiderzee, erlebte der Künstler schon in jungen Jahren die Freuden des Winters, insbesondere des Eises. Als er um 1607 in seine Geburtsstadt Amsterdam zurückkehrte, ging er bei Pieter Isaacsz in die Lehre und wurde möglicherweise bei dem Antwerpener Landschaftsmaler Gillis van Coninxloo ausgebildet. Das Jahr 1608 war eines der kältesten in der Geschichte der Niederlande. Die zugefrorenen Flüsse und Küstengewässer waren eine Inspirationsquelle für Avercamp, aber auch für Künstler wie Pieter Breughel I. und andere vor ihm, die die Winterlandschaft und die Vergnügungen auf dem Eis in Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken darstellten.

Das vorliegende Gemälde gehörte einst zur Sammlung des in Deutschland geborenen Henry Doetsch (1839–1894), der sein Vermögen in Spanien machte, wo er zu den Gründern der Firma Sundheim y Doetsch gehörte und Direktor der Rio Tinto Company war. Als Sammler von Gemälden alter Meister soll Doetsch mit dem amerikanischen Kunsthistoriker Bernard Berenson (1865–1959) in Kontakt gestanden und Werke berühmter niederländischer und italienischer Meister erworben haben. Nach seinen Jahren in Spanien ließ sich Doetsch in London nieder, wo er seine Sammlung weiter ausbaute und sein Haus und seine Kunstgalerie für Interessenten öffnete. Zum Zeitpunkt von Henry Doetschs Tod zählte seine Sammlung 400 Gemälde und 600 Miniaturen. Ein großer Teil wurde im Juni 1895 bei Christie’s in London versteigert, wodurch eine Reihe von Werken aus der Sammlung ihren Weg in die Royal Collection und andere angesehene Institutionen fand.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

Das Werk befindet sich auf einer dünnen, 6 Millimeter starken Eichentafel, deren Bretter horizontal zusammengefügt wurden. Auf der Rückseite ist die Tafel zum Teil parkettiert.

Über dem weißen Grund befindet sich eine Zeichnung in schwarzer Kreide. Trotz der extrem detailreichen und genauen Bildkomposition besteht die Unterzeichnung nur aus wenigen durchbrochenen Linien, mit der die Platzierung der Objekte und Flächen angedeutet wird. Dabei handelt es sich um die erste Zeichenstufe. Die Zeichnung der zweiten Stufe ist sehr dünn und nur unter IR-Kameras mit besonders hoher Auflösung sichtbar. In dieser zweiten Zeichenphase wurden die Figuren mit einem stark zugespitztem Stift, möglicherweise nach wie vor mit schwarzer Kreide oder einem dunkle Markierungen hinterlassenden Metallstift, ausgeführt. Die Figuren wurden aus dem großen Repertoire des Malers übernommen, der seine Kompositionen häufig aus denselben Elementen zusammenbaute. Die Entwurfsphase der Komposition muss daher besonders wichtig gewesen sein, weil es galt, das Kopieren oder Nachahmen früher gemalter Landschaften zu vermeiden.

Diese erste so grundlegende Phase der Zeichnung ist nicht um ihrer selbst willen von Interesse, sondern weil sie uns den Schaffensprozess Avercamps und möglicherweise auch den seiner Werkstatt vor Augen führt: Der Kompositionsentwurf wird mit einigen wenigen Linien angelegt, die anzeigen, was zu malen ist. Es sind Zeichen einer sehr persönlichen, für uns unverständlichen Sprache. In dieser Zeichnung bezeichnet ein einfaches „X“ mit einem vertikalen Rechteck den Standort der Windmühle, die dann weiter unten gemalt wurde; einige überkreuzte Linien scheinen den Standort von Gebäuden oder Zelten anzudeuten; komplexe Liniengefüge werden verwendet, um die Vegetation festzulegen, während die Zickzacklinien die Platzierung von Menschenansammlungen oder Figuren anzuzeigen scheinen.

Oberhalb dieser Unterzeichnung malte der Künstler das Eis und den Himmel, dann erst zeichnete er die Figuren und ein einige weitere Bildelemente. Die Charaktere sind sehr fein gezeichnet, wobei sie leicht verändert und schließlich mit Farbe vollendet wurden. Die verwendeten Pigmente, die unter Anwendung nichtinvasiver spektroskopischer Verfahren ermittelt wurden, umfassen Azurit für die Blaubereiche, bisweilen unter Beimischung anderer Pigmente, um den Ton abzuschwächen; Zinnober für die Rottöne; Ocker und braune Erden; ein fein vermahlenes schwarzes Pigment; Smalte für den Himmel rechts oben in jenem aufgrund vollständiger Verfärbung jetzt braun erscheinenden Bereich, was typischerweise in zahlreichen Werken auftritt, bei denen Smalte in Verbindung mit Trockenöl zum Einsatz kam. Rotlack fand nur sehr eingeschränkt in Verbindung mit Azurit zwecks Erzielung der gräulich-purpurnen Töne Verwendung.

Schließlich zeigen die Infrarotbilder mehrere Veränderungen hinsichtlich der Bildfindung: Unterhalb des Heuschobers auf der linken Seite befindet sich ein anders positioniertes Dach; ein kleiner Schuppen wurde entfernt. Die bedeutendste Veränderung, die stattfand, als das Gemälde bereits fast fertig war, betrifft jedoch die Bildmitte: Avercamp und sein Gehilfe überdeckten drei bereits gemalte Figuren durch Hinzufügung des Zeltes, auf das der Künstler mit rotem Ocker sein Monogramm setzte, als wäre es in den Stoff eingestickt. Das Monogramm fügt sich, wie sich unter dem Mikroskop gezeigt hat, ganz und gar in das übrige Gemälde ein.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 24.04.2024 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 13.04. - 24.04.2024