Lot Nr. 115 -


Johann Heinrich Tischbein der Ältere


Johann Heinrich Tischbein der Ältere - Alte Meister I

(Haina 1722–1789 Kassel)
Bildnis von Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel (1682–1760),
Öl auf Leinwand, 141 x 112 cm, gerahmt

Wir danken Anna-Charlotte Flohr für die Bestätigung der Eigenhändigkeit und für ihre Hilfe bei der Katalogisierung. Ihr schriftliches Gutachten liegt dem Gemälde bei.

Dieses wiederentdeckte Gemälde ist eine bedeutende Hinzufügung zum Oeuvre Tischbeins. Umgeben wird es von einem aufwendigen und wohl originalen Rokoko-Rahmen, der Johann August Nahl dem Älteren (1710–1781) zugeschrieben ist.

Das Bildnis des Landgrafen kann aufgrund der stilistischen Merkmale, die für die Zeit nach seiner Rückkehr aus Frankreich und Italien vor allem während der ersten Jahrzehnte seiner Tätigkeit als Hofmaler der Landgrafen von Hessen-Kassel typisch sind, die zweite Hälfte der 1750er-Jahre datiert werden. Unter dem noch frischen Eindruck seiner Ausbildung im Ausland entstanden zahlreiche Bildnisse, die – in einer Zeit, in der sich die Porträtkunst in Europa zu höchster Blüte entfaltete – in Kolorit, Komposition, Detailtreue und Pinselführung den Vergleich mit Werken etwa französischer und italienischer Malerkollegen nicht scheuen müssen.

Das Bildnis des Landgrafen Wilhelm VIII. entspricht dem Typus des sogenannten Herrscher- oder Repräsentationsbildnis der Zeit des Barocks und Rokokos. Es war Ausdruck der Herrscheridee und hatte im Absolutismus eine wichtige „stellvertretende“ Funktion. Es repräsentierte symbolhaft die Anwesenheit des Souverän. Tischbein wählte bei seinen Herrscherporträts das Bildnis in ganzer oder halber Figur, häufiger aber das Porträt in Dreiviertelfigur, dem sog. Kniestück. Das hier vorliegende Bildnis ist eine Variante des ersten wichtigen halbfigurigen Porträts, das Tischbein von seinem Landesherrn anfertigte. Der hohen Virtuosität des Porträts verdankte er im Jahre 1753 die Anstellung zum Hofmaler (vgl. Anna Charlotte Flohr, Johann Heinrich Tischbein der Ältere als Porträtmaler mit einem kritischen Werkverzeichnis, München 1997, S. 67 und WVZ G1, mit Abb.). In Bildaufbau, Körperhaltung und Verwendung der Requisiten entspricht es einer weiteren, bis auf kleine Abweichungen fast identischen Fassung, die um dieselbe Zeit, nämlich 1755, entstand und sich in deutschem Privatbesitz befindet (Flohr 1997, WVZ G2). Es war üblich, häufig von einem „Ur“-Bildnis ausgehend, mehrere Fassungen anzufertigen, da diese von den Regenten als Donationen beispielsweise an befreundete oder verwandte Familien oder aber an verdiente Offiziere abgegeben wurden. Im Unterschied zu dem Bildnis G2 hat der links abgelegte Helm keinen roten Federbusch, und auch die Szenerie rechts im Hintergrund zeigt Abweichungen: Ross und Reiter sind hier anders angeordnet.

Die ganz offensichtliche malerische Qualität des Bildnisses lässt keinen Zweifel daran, dass es von der Hand Johann Heinrich Tischbeins des Älteren stammt. Es ist von hohem Reiz in seinen farblich-differenzierten Abstufungen und Nuancierungen, der atmosphärischen Wiedergabe des Schlachtengetümmels im Hintergrund, der weich modellierten, lebensnahen Gesichtszüge des Landgrafen, der Sicherheit im kompositorischen Aufbau sowie der – für Tischbein sehr typischen – maltechnischen Raffinesse in der Wiedergabe von Stoffen und Material, wie etwa dem metallisch glänzenden Harnisch, den duftig aufspringenden Spitzen, dem weichen Hermelinpelz oder der gekonnt wiedergegebenen Struktur der Ordensschärpe.

Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel war der sechste Sohn des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel (1654–1730) aus dessen Ehe mit Maria Amalia (1653–1711), Tochter des Herzogs Jakob Kettler von Kurland. Nachdem sein älterer Bruder Friedrich im Jahre 1720 zum König von Schweden gekrönt worden und Landgraf Karl 1730 gestorben war, übernahm Wilhelm die Verwaltung der Landgrafschaft von Hessen-Kassel als Statthalter seines Bruders. Nach dessen Tod folgte Wilhelm diesem im Jahr 1751 offiziell als regierender Landgraf nach. Johann Heinrich Tischbein der Ältere, 1749 von prägenden Ausbildungsjahren in Paris, Rom und Venedig zurückgekehrt, begegnete Wilhelm VIII. im Jahre 1752 während eines Kuraufenthaltes des Landgrafen in Schlangenbad bei Mainz und wurde von diesem ab 1753 zum landgräflichen Hofmaler nach Kassel bestellt. Das „künstlerische Dreigestirn“ Johann Heinrich Tischbein der Ältere, der Bildhauer Johann August Nahl der Ältere sowie der Architekt Simon du Ry prägten unter der Ägide des Landgrafen (und später unter der Regentschaft seines Sohnes Friedrich II. von Hessen-Kassel) das künstlerische Leben in der Residenzstadt entscheidend. Unter dem kunstsinnigen Landgrafen wurde ab 1753 das Rokoko-Lustschloss Wilhelmsthal bei Calden vor den Toren Kassels erbaut. Noch heute können dort u. a. die sogenannte Schönheiten- und Ahnengalerie von der Hand Tischbeins besichtigt werden. Wilhelm VIII. übernahm nach dem 1730 erfolgten Tod seines Vaters, des Landgrafen Karl, zunächst nur als Regent seines älteren Bruders Friedrich die Herrschaft in Hessen-Kassel. Seit 1720 war dieser König von Schweden und regierte die Landgrafschaft Hessen-Kassel nominell von Stockholm aus, wobei er seinem Bruder in Kassel jedoch weitgehend freie Hand ließ. Erst nach dem Tod Friedrichs 1751 folgte ihm Wilhelm auch offiziell als regierender Landgraf nach. Die späte Regierungszeit Wilhelms VIII. wurde vom Siebenjährigen Krieg geprägt, in dem sich der Landgraf auf verschiedenen Seiten engagierte. Daneben widmete sich Wilhelm seiner Gemäldesammlung, die den Grundstock der heutigen Kasseler Gemäldegalerie bildet.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 51.015,-
Schätzwert:
EUR 40.000,- bis EUR 60.000,-

Johann Heinrich Tischbein der Ältere


(Haina 1722–1789 Kassel)
Bildnis von Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel (1682–1760),
Öl auf Leinwand, 141 x 112 cm, gerahmt

Wir danken Anna-Charlotte Flohr für die Bestätigung der Eigenhändigkeit und für ihre Hilfe bei der Katalogisierung. Ihr schriftliches Gutachten liegt dem Gemälde bei.

Dieses wiederentdeckte Gemälde ist eine bedeutende Hinzufügung zum Oeuvre Tischbeins. Umgeben wird es von einem aufwendigen und wohl originalen Rokoko-Rahmen, der Johann August Nahl dem Älteren (1710–1781) zugeschrieben ist.

Das Bildnis des Landgrafen kann aufgrund der stilistischen Merkmale, die für die Zeit nach seiner Rückkehr aus Frankreich und Italien vor allem während der ersten Jahrzehnte seiner Tätigkeit als Hofmaler der Landgrafen von Hessen-Kassel typisch sind, die zweite Hälfte der 1750er-Jahre datiert werden. Unter dem noch frischen Eindruck seiner Ausbildung im Ausland entstanden zahlreiche Bildnisse, die – in einer Zeit, in der sich die Porträtkunst in Europa zu höchster Blüte entfaltete – in Kolorit, Komposition, Detailtreue und Pinselführung den Vergleich mit Werken etwa französischer und italienischer Malerkollegen nicht scheuen müssen.

Das Bildnis des Landgrafen Wilhelm VIII. entspricht dem Typus des sogenannten Herrscher- oder Repräsentationsbildnis der Zeit des Barocks und Rokokos. Es war Ausdruck der Herrscheridee und hatte im Absolutismus eine wichtige „stellvertretende“ Funktion. Es repräsentierte symbolhaft die Anwesenheit des Souverän. Tischbein wählte bei seinen Herrscherporträts das Bildnis in ganzer oder halber Figur, häufiger aber das Porträt in Dreiviertelfigur, dem sog. Kniestück. Das hier vorliegende Bildnis ist eine Variante des ersten wichtigen halbfigurigen Porträts, das Tischbein von seinem Landesherrn anfertigte. Der hohen Virtuosität des Porträts verdankte er im Jahre 1753 die Anstellung zum Hofmaler (vgl. Anna Charlotte Flohr, Johann Heinrich Tischbein der Ältere als Porträtmaler mit einem kritischen Werkverzeichnis, München 1997, S. 67 und WVZ G1, mit Abb.). In Bildaufbau, Körperhaltung und Verwendung der Requisiten entspricht es einer weiteren, bis auf kleine Abweichungen fast identischen Fassung, die um dieselbe Zeit, nämlich 1755, entstand und sich in deutschem Privatbesitz befindet (Flohr 1997, WVZ G2). Es war üblich, häufig von einem „Ur“-Bildnis ausgehend, mehrere Fassungen anzufertigen, da diese von den Regenten als Donationen beispielsweise an befreundete oder verwandte Familien oder aber an verdiente Offiziere abgegeben wurden. Im Unterschied zu dem Bildnis G2 hat der links abgelegte Helm keinen roten Federbusch, und auch die Szenerie rechts im Hintergrund zeigt Abweichungen: Ross und Reiter sind hier anders angeordnet.

Die ganz offensichtliche malerische Qualität des Bildnisses lässt keinen Zweifel daran, dass es von der Hand Johann Heinrich Tischbeins des Älteren stammt. Es ist von hohem Reiz in seinen farblich-differenzierten Abstufungen und Nuancierungen, der atmosphärischen Wiedergabe des Schlachtengetümmels im Hintergrund, der weich modellierten, lebensnahen Gesichtszüge des Landgrafen, der Sicherheit im kompositorischen Aufbau sowie der – für Tischbein sehr typischen – maltechnischen Raffinesse in der Wiedergabe von Stoffen und Material, wie etwa dem metallisch glänzenden Harnisch, den duftig aufspringenden Spitzen, dem weichen Hermelinpelz oder der gekonnt wiedergegebenen Struktur der Ordensschärpe.

Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel war der sechste Sohn des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel (1654–1730) aus dessen Ehe mit Maria Amalia (1653–1711), Tochter des Herzogs Jakob Kettler von Kurland. Nachdem sein älterer Bruder Friedrich im Jahre 1720 zum König von Schweden gekrönt worden und Landgraf Karl 1730 gestorben war, übernahm Wilhelm die Verwaltung der Landgrafschaft von Hessen-Kassel als Statthalter seines Bruders. Nach dessen Tod folgte Wilhelm diesem im Jahr 1751 offiziell als regierender Landgraf nach. Johann Heinrich Tischbein der Ältere, 1749 von prägenden Ausbildungsjahren in Paris, Rom und Venedig zurückgekehrt, begegnete Wilhelm VIII. im Jahre 1752 während eines Kuraufenthaltes des Landgrafen in Schlangenbad bei Mainz und wurde von diesem ab 1753 zum landgräflichen Hofmaler nach Kassel bestellt. Das „künstlerische Dreigestirn“ Johann Heinrich Tischbein der Ältere, der Bildhauer Johann August Nahl der Ältere sowie der Architekt Simon du Ry prägten unter der Ägide des Landgrafen (und später unter der Regentschaft seines Sohnes Friedrich II. von Hessen-Kassel) das künstlerische Leben in der Residenzstadt entscheidend. Unter dem kunstsinnigen Landgrafen wurde ab 1753 das Rokoko-Lustschloss Wilhelmsthal bei Calden vor den Toren Kassels erbaut. Noch heute können dort u. a. die sogenannte Schönheiten- und Ahnengalerie von der Hand Tischbeins besichtigt werden. Wilhelm VIII. übernahm nach dem 1730 erfolgten Tod seines Vaters, des Landgrafen Karl, zunächst nur als Regent seines älteren Bruders Friedrich die Herrschaft in Hessen-Kassel. Seit 1720 war dieser König von Schweden und regierte die Landgrafschaft Hessen-Kassel nominell von Stockholm aus, wobei er seinem Bruder in Kassel jedoch weitgehend freie Hand ließ. Erst nach dem Tod Friedrichs 1751 folgte ihm Wilhelm auch offiziell als regierender Landgraf nach. Die späte Regierungszeit Wilhelms VIII. wurde vom Siebenjährigen Krieg geprägt, in dem sich der Landgraf auf verschiedenen Seiten engagierte. Daneben widmete sich Wilhelm seiner Gemäldesammlung, die den Grundstock der heutigen Kasseler Gemäldegalerie bildet.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer(für Lieferland Österreich)

Es können keine Kaufaufträge über Internet mehr abgegeben werden. Die Auktion befindet sich in Vorbereitung bzw. wurde bereits durchgeführt.