Lot Nr. 77


Römische Schule, 17. Jahrhundert und Pietro Tommaso Campani


(Rom tätig 1635–1683)
Nachtuhr mit bemaltem Ziffernblatt, Pietra dura-Einlagen und patentierter geräuschloser Hemmung,
bezeichnet und datiert auf dem Laufwerk: Petrus Thomas Campanus Inventor Romae.1682.,
138,5 x 68 x 26,5 cm

Provenienz:
Auktion, Christie’s, London, 10. Juli 2008, Lot 39;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
A. Egidi, I fratelli Campani da Castel San Felice. Vita e opere di tre inventori post-galileiani, Spoleto 2011, S. 194–197, Abb. 71–75, Erwähnung auf S. 106 (als „Pietro Tommaso Campani […] Pittura ad olio su rame di Carlo Maratta“);
R. Valeriani, in: M. G. Bernardini, M. Bussagli, A. Anselmi (Hg.), Barocco a Roma. La meraviglia delle arti, Ausstellungskatalog, Mailand 2015, S. 414, Kat.-Nr. 168, Abb. S. 345 (als Pietro Tommaso Campani);
A. González-Palacios, Il mobile a Roma dal Rinascimento al Barocco, Rom 2022, Erwähnung S. 465

Bei diesem Lot handelt es sich um eine außergewöhnliche und höchst bedeutende Nachtuhr aus dem 17. Jahrhundert, die 1682 von der berühmten Uhrmacherfamilie aus Castel San Felice in Umbrien, den Brüdern Campani, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Rom tätig waren, geschaffen wurde.

Vergleichbare vergoldete Bronzekaryatiden mit Lapislazuli finden sich bei der Nachtuhr im Kunsthistorischen Museum in Wien (Inv.-Nr. KK 3395). Ein ähnliches bemaltes Zifferblatt findet sich bei der im British Museum in London aufbewahrten Nachtuhr (Inv.-Nr. 1958.1006.2128), die wie das vorliegende Exemplar ein Uhrwerk von Pietro Tommaso Campani aus dem Jahr 1683 besitzt (allerdings befindet es sich dort in einem anderen architektonischen Gehäuse).

Pietro Tommaso Campani
(Rom, tätig 1635–1683)

Dieses Lot ist eines der wenigen Beispiele einer funktionstüchtigen Nachtuhr aus dem 17. Jahrhundert. Die Erfindung der stummen Uhr, der „orologio muto“, im Jahr 1656 erfolgte aus einer praktischen Erwägung heraus: Der Schlaf von Papst Alexander VII. (1655–1667) wurde durch das Geräusch einer tickenden Uhr gestört. Die Erfindung des geräuschlosen Uhrwerks selbst wird dem zweiten der drei Campani-Brüder, Pietro Tommaso, zugeschrieben, dessen Signatur samt Datierung „Petrus Thomas Campanus Inventor Romae.1682“ auf der stehenden Walze unseres Lots erscheint. Eine weitere Neuerung bestand darin, dass diese Uhren im Dunkeln mit einer Kerze oder Öllampe beleuchtet werden konnten, die hinter den ausgesägten römischen Ziffern des Zifferblatts verborgen war. Der Rauch wurde durch einen eingebauten kleinen Abzugsröhre abgeleitet. Die Brüder Campani erhielten für ihre Erfindung ein päpstliches Privileg (Patent).

Pietro Tommaso, der Bauer der vorliegenden Uhr, gilt weithin als „treibende Kraft“ hinter der Entstehung dieses neuen Uhrentyps (siehe S. A. Bedini, Introduzione, in: P. Tommaso Campani, Discorso intorno a suoi muti oriuoli con Lettera di Pier Tommaso Campani nella quale dimostra l’origine e l’artificio dell’oriolo, 1660, Nachdruck, Mailand 1983). Die technischen Details der Erfindung werden folgendermaßen beschrieben: „Pietro Tommaso erfand eine geräuschlose ,Hemmung‘, für die er die reziproke Bewegung in eine Drehbewegung umwandelte, woraus sich eine kontinuierliche statt eine intermittierende Bewegung ergab, und da es keine ,Hemmung‘ im eigentlichen Sinne gab, funktionierte die Uhr in völliger Stille [...]. Das Pendel hängt an einem gebogenen Arm, der an einem Ende mit einem Stangengewicht und am anderen Ende mit einem außermittig platzierten Stab auf der Nabe des Flügelrades verbunden ist. Dieser Arm wird durch eine oben am Pendel befestigte Gabel in Bewegung gesetzt. Sobald sich das Pendel bewegt, verleiht das Gewicht dem ausgewuchteten Rad den nötigen Schwung“ (siehe H. Alan Lloyd, The Collector’s Dictionary of Clocks, New York 1964, S. 53).

Geistreiche mechanische Innovationen dieser Art, zu denen auch das vorliegende Exemplar gehört, waren oft in ein kunstvolles architektonisches Gehäuse in der Form eines Altars oder eines „Ädikula“-Reliquienschreins eingebettet, wie sie damals vom hochrangigen Klerus und anderen aristokratischen Mäzenen bevorzugt wurden. Diese Gehäuse an sich waren wie das vorliegende Exemplar selbst Werke von höchster Qualität, die von den führenden Möbelschreinern und Malern ihrer Zeit geschaffen wurden. Das Gehäuse des vorliegenden Exemplars, das üppige Verzierungen in Pietra dura und Bronze aufweist, wird dem deutschen Kunsttischler Jakob Hermann zugeschrieben, der auch das prächtige Gehäuse für das Geschenk von Papst Alexander VII. an Kaiser Leopold I. schuf, das sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet.
 

Zugeschrieben an Jakob Hermann
(? um 1615–1685 Rom)

In dem kunstvoll gearbeiteten Gehäuse, das von der vergoldeten Bronzefigur der Göttin Minerva bekrönt wird, befinden sich zwei bemalte Kupferplatten. Das bemalte Zifferblatt ist von einem vergoldeten Messingrahmen umgeben, der mit verschiedenen eingelegten Hartsteinen (darunter Lapislazuli, Quarz, Amethyst, Achat und sizilianischer Jaspis) verziert ist und von Goldbronze-Karyatiden mit Details in Lapislazuli flankiert wird. Ähnliche vergoldete Bronzekaryatiden mit Lapislazuli finden sich bei der eingangs erwähnten Nachtuhr im Kunsthistorischen Museum in Wien.

Das Zifferblatt der Uhr besteht aus einer beweglichen halbkreisförmigen Platte, die in den gemalten Himmel eingelassen ist. Die Zeiteinteilung richtet sich nach der halben Viertelstunde, und wenn sich das Zifferblatt am Ende der Stunde bewegt, erscheint die nächste Stunde am gegenüberliegenden Ende des Zifferblatts, als ließe sie sich von der Bewegung der Sonne leiten.

Am Boden des Uhrengehäuses befindet sich eine versteckte Schublade, in der alle abnehmbaren Teile der Uhr (das Pendel, die vier Puttenfiguren, die Minerva-Statuette, die Öllampe, der Aufziehschlüssel und der Schlüssel zum Öffnen der Klappe) aufbewahrt werden können. Abgesehen von der Tür mit dem bemalten Zifferblatt kann die Uhr auch von hinten geöffnet werden, um die Öllampe aufzustellen und nachzufüllen.

Diese Nachtuhr lässt sich mit zwei weiteren zeitgenössischen, von Pietro Tommaso Campani bezeichneten Exemplaren vergleichen: Das erste ist das bereits erwähnte Exemplar im British Museum; das zweite, in einer Privatsammlung (Auktion, Christie’s, London, 8. November 2007, Lot 181, verkauft um ₤ 120.500), weist eine ähnliche Form auf, ist jedoch mit andersfarbigen Steinen und einem bemalten Zifferblatt nach einer Komposition von Ciro Ferri (siehe González-Palacios 2022, S. 465, 469, Abb. 308) ausgestattet.

Der deutsche Kunsttischler Jakob Hermann kam wahrscheinlich vor 1653 nach Rom und blieb hier bis zu seinem Tod 1685 (siehe A. Bertolotti, Belgian and Dutch Artists in Rom in the 16th and 17th Centuries: News and Documents, Florenz 1880, S. 246–248). In Rom erhielt Hermann höchst prestigeträchtige Aufträge von den bedeutendsten Mäzenen der Zeit, darunter die Päpste Alexander VII., Clemens IX. und Innozenz XI. Das bezeichnete und datierte Gehäuse der Nachtuhr von 1668 im Kunsthistorischen Museum in Wien ist eines seiner berühmtesten Werke. Weitere wichtige Werke aus seiner römischen Schaffenszeit sind die vier von Papst Clemens IX. in Auftrag gegebenen Schränke, die seinen Ruf als einer der gefragtesten Kunsttischler im Rom des 17. Jahrhunderts anschaulich machen (siehe González-Palacios 2022, S. 432–435, Abb. 287, 288).

Römische Schule, 17. Jahrhundert
traditionell Carlo Maratta zugeschrieben
(Camerano 1625–1713 Rom)

Die Malerei auf dem rechteckigen Zifferblatt der Nachtuhr zeigt eine Allegorie auf die Vergänglichkeit der Zeit („Volat irreparabile tempus“ steht auf der Schriftrolle, die der Putto am unteren Bildrand hält). Die vier Jahreszeiten werden durch einen alten Mann dargestellt, der seine Hände an einem Kohlenbecken wärmt (Winter); durch eine bewegte weibliche Figur, die frische Blumen trägt (Frühling); durch eine ruhende weibliche Figur, die Ähren in ihrem Schoß hält (Sommer); und durch eine jugendliche, in ein rotes Tuch gehüllte männliche Figur mit Trauben in der Hand und auf dem Kopf (Herbst). Darüber schwebt Vater Zeit, darunter sitzt ein Cherub (zur Ikonografie der Zeit bei Nachtuhren des 17. Jahrhunderts siehe C. Cieri Via, Visualizzare il tempo. Idee e immagini dall'antichità all'età barocca, in: L. Galli (Hg.), La forma del Tempo, Ausstellungskatalog, Mailand 2020, S. 50).

Die Bemalung dieser Uhr war bisher Carlo Maratta (siehe Egidi 2011), der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mehrere Zifferblätter gestaltete (A. González-Palacios, Arredi e Ornamenti alla corte di Roma, Mailand 2004, S. 104), bzw. Filippo Lauri (siehe Valeriani 2015) zugeschrieben. Die Ikonografie lässt auch Gemeinsamkeiten mit Werken von Giacinto Gimignani erkennen (siehe F. Ceretti, in: L. Galli 2020, S. 158 f., Nr. 21), während malerische Details mit Werken von Bartolomeo Chiari vergleichbar sind.

Ein Vergleich mehrerer bekannter römischer Uhren zeigt, dass die Malereien auf den Zifferblättern in der Regel von bedeutenden Meistern der Zeit ausgeführt wurden, wie beispielsweise die Nachtuhr im Palazzo Rosso in Genua mit dem bemalten Zifferblatt von Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino (siehe González-Palacios 2022, S. 468, Nr. 307). Oftmals finden sich dieselben Motive auf mehreren Uhren: ein Hinweis auf den Erfolg bestimmter Kompositionen (siehe das Beispiel einer Allegorie der Zeit von Carlo Maratta in: González-Palacios 2022, S. 458–461, mit Abb.).

Man weiß nicht genau, wer die vorliegende Nachtuhr in Auftrag gegeben hat, doch sie wurde eindeutig für einen bedeutenden Mäzen angefertigt, worauf die Qualität der handwerklichen Ausführung sowie die Verwendung teurer, prestigeträchtiger und seltener Materialien weisen.

Die Mode für solche Nachtuhren verbreitete sich von Rom aus in ganz Italien, zu den Auftraggebern gehörten der Großherzog der Toskana, Ferdinando II. und bedeutende Sammler in anderen europäischen Ländern, darunter König Philipp IV. von Spanien und König Johann Kasimir I. von Polen.

 

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

24.04.2024 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 182.000,-
Schätzwert:
EUR 100.000,- bis EUR 150.000,-

Römische Schule, 17. Jahrhundert und Pietro Tommaso Campani


(Rom tätig 1635–1683)
Nachtuhr mit bemaltem Ziffernblatt, Pietra dura-Einlagen und patentierter geräuschloser Hemmung,
bezeichnet und datiert auf dem Laufwerk: Petrus Thomas Campanus Inventor Romae.1682.,
138,5 x 68 x 26,5 cm

Provenienz:
Auktion, Christie’s, London, 10. Juli 2008, Lot 39;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
A. Egidi, I fratelli Campani da Castel San Felice. Vita e opere di tre inventori post-galileiani, Spoleto 2011, S. 194–197, Abb. 71–75, Erwähnung auf S. 106 (als „Pietro Tommaso Campani […] Pittura ad olio su rame di Carlo Maratta“);
R. Valeriani, in: M. G. Bernardini, M. Bussagli, A. Anselmi (Hg.), Barocco a Roma. La meraviglia delle arti, Ausstellungskatalog, Mailand 2015, S. 414, Kat.-Nr. 168, Abb. S. 345 (als Pietro Tommaso Campani);
A. González-Palacios, Il mobile a Roma dal Rinascimento al Barocco, Rom 2022, Erwähnung S. 465

Bei diesem Lot handelt es sich um eine außergewöhnliche und höchst bedeutende Nachtuhr aus dem 17. Jahrhundert, die 1682 von der berühmten Uhrmacherfamilie aus Castel San Felice in Umbrien, den Brüdern Campani, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Rom tätig waren, geschaffen wurde.

Vergleichbare vergoldete Bronzekaryatiden mit Lapislazuli finden sich bei der Nachtuhr im Kunsthistorischen Museum in Wien (Inv.-Nr. KK 3395). Ein ähnliches bemaltes Zifferblatt findet sich bei der im British Museum in London aufbewahrten Nachtuhr (Inv.-Nr. 1958.1006.2128), die wie das vorliegende Exemplar ein Uhrwerk von Pietro Tommaso Campani aus dem Jahr 1683 besitzt (allerdings befindet es sich dort in einem anderen architektonischen Gehäuse).

Pietro Tommaso Campani
(Rom, tätig 1635–1683)

Dieses Lot ist eines der wenigen Beispiele einer funktionstüchtigen Nachtuhr aus dem 17. Jahrhundert. Die Erfindung der stummen Uhr, der „orologio muto“, im Jahr 1656 erfolgte aus einer praktischen Erwägung heraus: Der Schlaf von Papst Alexander VII. (1655–1667) wurde durch das Geräusch einer tickenden Uhr gestört. Die Erfindung des geräuschlosen Uhrwerks selbst wird dem zweiten der drei Campani-Brüder, Pietro Tommaso, zugeschrieben, dessen Signatur samt Datierung „Petrus Thomas Campanus Inventor Romae.1682“ auf der stehenden Walze unseres Lots erscheint. Eine weitere Neuerung bestand darin, dass diese Uhren im Dunkeln mit einer Kerze oder Öllampe beleuchtet werden konnten, die hinter den ausgesägten römischen Ziffern des Zifferblatts verborgen war. Der Rauch wurde durch einen eingebauten kleinen Abzugsröhre abgeleitet. Die Brüder Campani erhielten für ihre Erfindung ein päpstliches Privileg (Patent).

Pietro Tommaso, der Bauer der vorliegenden Uhr, gilt weithin als „treibende Kraft“ hinter der Entstehung dieses neuen Uhrentyps (siehe S. A. Bedini, Introduzione, in: P. Tommaso Campani, Discorso intorno a suoi muti oriuoli con Lettera di Pier Tommaso Campani nella quale dimostra l’origine e l’artificio dell’oriolo, 1660, Nachdruck, Mailand 1983). Die technischen Details der Erfindung werden folgendermaßen beschrieben: „Pietro Tommaso erfand eine geräuschlose ,Hemmung‘, für die er die reziproke Bewegung in eine Drehbewegung umwandelte, woraus sich eine kontinuierliche statt eine intermittierende Bewegung ergab, und da es keine ,Hemmung‘ im eigentlichen Sinne gab, funktionierte die Uhr in völliger Stille [...]. Das Pendel hängt an einem gebogenen Arm, der an einem Ende mit einem Stangengewicht und am anderen Ende mit einem außermittig platzierten Stab auf der Nabe des Flügelrades verbunden ist. Dieser Arm wird durch eine oben am Pendel befestigte Gabel in Bewegung gesetzt. Sobald sich das Pendel bewegt, verleiht das Gewicht dem ausgewuchteten Rad den nötigen Schwung“ (siehe H. Alan Lloyd, The Collector’s Dictionary of Clocks, New York 1964, S. 53).

Geistreiche mechanische Innovationen dieser Art, zu denen auch das vorliegende Exemplar gehört, waren oft in ein kunstvolles architektonisches Gehäuse in der Form eines Altars oder eines „Ädikula“-Reliquienschreins eingebettet, wie sie damals vom hochrangigen Klerus und anderen aristokratischen Mäzenen bevorzugt wurden. Diese Gehäuse an sich waren wie das vorliegende Exemplar selbst Werke von höchster Qualität, die von den führenden Möbelschreinern und Malern ihrer Zeit geschaffen wurden. Das Gehäuse des vorliegenden Exemplars, das üppige Verzierungen in Pietra dura und Bronze aufweist, wird dem deutschen Kunsttischler Jakob Hermann zugeschrieben, der auch das prächtige Gehäuse für das Geschenk von Papst Alexander VII. an Kaiser Leopold I. schuf, das sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet.
 

Zugeschrieben an Jakob Hermann
(? um 1615–1685 Rom)

In dem kunstvoll gearbeiteten Gehäuse, das von der vergoldeten Bronzefigur der Göttin Minerva bekrönt wird, befinden sich zwei bemalte Kupferplatten. Das bemalte Zifferblatt ist von einem vergoldeten Messingrahmen umgeben, der mit verschiedenen eingelegten Hartsteinen (darunter Lapislazuli, Quarz, Amethyst, Achat und sizilianischer Jaspis) verziert ist und von Goldbronze-Karyatiden mit Details in Lapislazuli flankiert wird. Ähnliche vergoldete Bronzekaryatiden mit Lapislazuli finden sich bei der eingangs erwähnten Nachtuhr im Kunsthistorischen Museum in Wien.

Das Zifferblatt der Uhr besteht aus einer beweglichen halbkreisförmigen Platte, die in den gemalten Himmel eingelassen ist. Die Zeiteinteilung richtet sich nach der halben Viertelstunde, und wenn sich das Zifferblatt am Ende der Stunde bewegt, erscheint die nächste Stunde am gegenüberliegenden Ende des Zifferblatts, als ließe sie sich von der Bewegung der Sonne leiten.

Am Boden des Uhrengehäuses befindet sich eine versteckte Schublade, in der alle abnehmbaren Teile der Uhr (das Pendel, die vier Puttenfiguren, die Minerva-Statuette, die Öllampe, der Aufziehschlüssel und der Schlüssel zum Öffnen der Klappe) aufbewahrt werden können. Abgesehen von der Tür mit dem bemalten Zifferblatt kann die Uhr auch von hinten geöffnet werden, um die Öllampe aufzustellen und nachzufüllen.

Diese Nachtuhr lässt sich mit zwei weiteren zeitgenössischen, von Pietro Tommaso Campani bezeichneten Exemplaren vergleichen: Das erste ist das bereits erwähnte Exemplar im British Museum; das zweite, in einer Privatsammlung (Auktion, Christie’s, London, 8. November 2007, Lot 181, verkauft um ₤ 120.500), weist eine ähnliche Form auf, ist jedoch mit andersfarbigen Steinen und einem bemalten Zifferblatt nach einer Komposition von Ciro Ferri (siehe González-Palacios 2022, S. 465, 469, Abb. 308) ausgestattet.

Der deutsche Kunsttischler Jakob Hermann kam wahrscheinlich vor 1653 nach Rom und blieb hier bis zu seinem Tod 1685 (siehe A. Bertolotti, Belgian and Dutch Artists in Rom in the 16th and 17th Centuries: News and Documents, Florenz 1880, S. 246–248). In Rom erhielt Hermann höchst prestigeträchtige Aufträge von den bedeutendsten Mäzenen der Zeit, darunter die Päpste Alexander VII., Clemens IX. und Innozenz XI. Das bezeichnete und datierte Gehäuse der Nachtuhr von 1668 im Kunsthistorischen Museum in Wien ist eines seiner berühmtesten Werke. Weitere wichtige Werke aus seiner römischen Schaffenszeit sind die vier von Papst Clemens IX. in Auftrag gegebenen Schränke, die seinen Ruf als einer der gefragtesten Kunsttischler im Rom des 17. Jahrhunderts anschaulich machen (siehe González-Palacios 2022, S. 432–435, Abb. 287, 288).

Römische Schule, 17. Jahrhundert
traditionell Carlo Maratta zugeschrieben
(Camerano 1625–1713 Rom)

Die Malerei auf dem rechteckigen Zifferblatt der Nachtuhr zeigt eine Allegorie auf die Vergänglichkeit der Zeit („Volat irreparabile tempus“ steht auf der Schriftrolle, die der Putto am unteren Bildrand hält). Die vier Jahreszeiten werden durch einen alten Mann dargestellt, der seine Hände an einem Kohlenbecken wärmt (Winter); durch eine bewegte weibliche Figur, die frische Blumen trägt (Frühling); durch eine ruhende weibliche Figur, die Ähren in ihrem Schoß hält (Sommer); und durch eine jugendliche, in ein rotes Tuch gehüllte männliche Figur mit Trauben in der Hand und auf dem Kopf (Herbst). Darüber schwebt Vater Zeit, darunter sitzt ein Cherub (zur Ikonografie der Zeit bei Nachtuhren des 17. Jahrhunderts siehe C. Cieri Via, Visualizzare il tempo. Idee e immagini dall'antichità all'età barocca, in: L. Galli (Hg.), La forma del Tempo, Ausstellungskatalog, Mailand 2020, S. 50).

Die Bemalung dieser Uhr war bisher Carlo Maratta (siehe Egidi 2011), der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mehrere Zifferblätter gestaltete (A. González-Palacios, Arredi e Ornamenti alla corte di Roma, Mailand 2004, S. 104), bzw. Filippo Lauri (siehe Valeriani 2015) zugeschrieben. Die Ikonografie lässt auch Gemeinsamkeiten mit Werken von Giacinto Gimignani erkennen (siehe F. Ceretti, in: L. Galli 2020, S. 158 f., Nr. 21), während malerische Details mit Werken von Bartolomeo Chiari vergleichbar sind.

Ein Vergleich mehrerer bekannter römischer Uhren zeigt, dass die Malereien auf den Zifferblättern in der Regel von bedeutenden Meistern der Zeit ausgeführt wurden, wie beispielsweise die Nachtuhr im Palazzo Rosso in Genua mit dem bemalten Zifferblatt von Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino (siehe González-Palacios 2022, S. 468, Nr. 307). Oftmals finden sich dieselben Motive auf mehreren Uhren: ein Hinweis auf den Erfolg bestimmter Kompositionen (siehe das Beispiel einer Allegorie der Zeit von Carlo Maratta in: González-Palacios 2022, S. 458–461, mit Abb.).

Man weiß nicht genau, wer die vorliegende Nachtuhr in Auftrag gegeben hat, doch sie wurde eindeutig für einen bedeutenden Mäzen angefertigt, worauf die Qualität der handwerklichen Ausführung sowie die Verwendung teurer, prestigeträchtiger und seltener Materialien weisen.

Die Mode für solche Nachtuhren verbreitete sich von Rom aus in ganz Italien, zu den Auftraggebern gehörten der Großherzog der Toskana, Ferdinando II. und bedeutende Sammler in anderen europäischen Ländern, darunter König Philipp IV. von Spanien und König Johann Kasimir I. von Polen.

 

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 24.04.2024 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 13.04. - 24.04.2024


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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